Mit einem aktuellen Erkenntnis[1] hat der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) erneut die Position gleichgeschlechtlicher, weiblicher Paare im Elternschaftsrecht[2] gestärkt.[3] Seine Argumentationslinie ist indes nicht nur für den österreichischen, sondern auch für den deutschen Rechtsraum von besonderem Interesse. Nach einer Darstellung der Entscheidung (unter I.) widmet sich der Beitrag (unter II.) den hiervon ausgehenden Impulsen für den durch den Koalitionsvertrag der Ampelkoalition angestoßenen Reformprozess hierzulande.
I. Das Erkenntnis des VfGH
Dem Erkenntnis des VfGH lag folgender Sachverhalt zugrunde:[4] Die Partnerin der Beschwerdeführerin gebar am 18.12.2019 ein Kind. Die Frauen nutzten keine Methoden medizinisch-assistierter Reproduktion. Ihren Antrag auf Eintragung der Beschwerdeführerin als Elternteil in das Zentrale Personenstandsregister lehnte der Magistrat der Stadt Wien am 10.2.2020 ab. Dies bestätigte das Verwaltungsgericht Wien am 22.10.2020. Gegen diese Entscheidung wurde Beschwerde beim VfGH nach Art. 144 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) erhoben. Daraufhin leitete der VfGH ein amtswegiges Gesetzesprüfungsverfahrens ein.
Inhaltlich geht es darum, welche Person im österreichischen Recht als zweiter Elternteil zugeordnet wird.[5] Die erste Elternstelle nimmt die Geburtsmutter ein, § 143 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB). § 144 Abs. 1 ABGB ordnet dem Kind einen Mann als Vater zu, wenn dieser mit der Mutter bei Geburt verheiratet ist (Nr. 1), er die Vaterschaft anerkannt hat (Nr. 2) oder diese gerichtlich festgestellt wurde (Nr. 3). Nach § 144 Abs. 2 ABGB kann aber auch eine Frau als „anderer Elternteil“ zugeordnet werden, wenn sie mit der Mutter bei Geburt in einer eingetragenen Partnerschaft[6] lebt (Nr. 1), sie die Elternschaft anerkannt hat (Nr. 2) oder diese gerichtlich festgestellt wurde (Nr. 3). Doch das reicht für sich genommen noch nicht aus, um die Partnerin der Geburtsmutter als Elternteil zu zuordnen. An der Geburtsmutter muss zusätzlich „innerhalb von nicht mehr als 300 und nicht weniger als 180 Tagen vor der Geburt eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung durchgeführt worden“ sein, § 144 Abs. 2, 1. Halbsatz ABGB. Der VfGH sieht darin den „maßgebliche[n] Unterschied“[7] zur Zuordnung in einer verschiedengeschlechtlichen Beziehung. Der Ehemann der Geburtsmutter werde als rechtlicher Vater zugeordnet, auch wenn er nicht der genetische Vater ist, etwa weil das Kind mit dem Samen eines Dritten gezeugt worden sei. Insbesondere sei irrelevant, ob sich ein verschiedengeschlechtliches Paar medizinisch-assistierter Reproduktion bedient habe.[8] Aus dieser Analyse des § 144 Abs. 1 ABGB folge, dass sich die rechtliche Vaterschaft primär nach der „sozialen Abstammung“[9] richte. Die Norm wolle die soziale Familie vor dem „‘sich hineindrängenden‘ biologischen Vater“[10] schützen. Dass § 148 Abs. 3 ABGB bei einer Drittsamenspende für die Vater-Kind-Zuordnung ausdrücklich an die Zustimmung zur medizinisch-assistierten Reproduktion anknüpft, stütze dieses Ergebnis.[11]
Auf dieser Grundlage stellt der VfGH fest, dass ein mit der Geburtsmutter verheirateter Mann und eine mit der Geburtsmutter in eingetragener Partnerschaft lebende Frau ungleich behandelt würden. Diese Ungleichbehandlung knüpfe an die sexuelle Orientierung bzw. an das Geschlecht und damit an besonders diskriminierungsverdächtige Merkmale an. Im Hinblick sowohl auf Art. 7 Abs. 1 S. 2 B-VG, als auch auf Art. 14 EMRK sei eine solche nur durch besonders schwerwiegende Gründe zu rechtfertigen.[12] Dass in verschiedengeschlechtlichen, anders als in gleichgeschlechtlichen Beziehungen eine Zeugung ohne medizinisch-assistierte Reproduktion zumindest dem Grunde nach möglich sei, genüge dafür nicht.[13] Zur Rechtfertigung sei weiter vorgebracht worden, dass für gleichgeschlechtliche, weibliche Paare nur bei medizinisch-assistierter Reproduktion angemessene Instrumente zum Schutz der sozialen Familie und den Interessen des Kindes bestehen würden. So bestehe etwa der Auskunftsanspruch des Kindes gegen das die reproduktive Behandlung durchführende Krankenhaus aus § 20 Abs. 2 Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) nur, sofern auf eine medizinisch-assistierte Reproduktion zurückgegriffen werde. Damit sei aber nicht gesagt, dass entsprechende Regelungen nicht erlassen werden könnten.[14]
Insgesamt sei die in § 144 ABGB liegende Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen. Kindern, die durch eine „Heiminsemination“ gezeugt wurden, dürfe nicht jede rechtliche Absicherung gegenüber der Partnerin der Mutter verwehrt bleiben.[15] Der VfGH befand, dass damit § 144 ABGB in Gänze und § 145 ABGB in Teilen verfassungswidrig und aufzuheben seien.
II. Impulse für den deutschen Reformprozess?
Zwar ergeben sich aus der Entscheidung des VfGH keine unmittelbaren Konsequenzen für die deutsche Rechtsordnung. Gleichwohl lassen sich aus der überzeugenden Argumentation einige Erkenntnisse für die anstehende Reform des Elternschaftsrechts gewinnen.
Aus der deutschen Perspektive muss es zunächst überraschen, wenn der VfGH hinter § 144 Abs. 1 ABGB ein Prinzip der „sozialen Abstammung“ erkennen will. In dem nahezu inhaltsgleichen § 1591 BGB sieht der BGH ein „Primat der genetischen Abstammung“[16] verwirklicht.[17] Dazu kann er auf die Gesetzesbegründung verweisen.[18] Zwar knüpft das deutsche Recht für die Vater-Kind-Zuordnung primär an die genetische Elternschaft an. Gerade bei der Fremdsamenspende weicht es indes davon ab.[19] Weder für das deutsche, noch das österreichische Elternschaftsrecht kommt es ausnahmslos auf die genetische Elternschaft des Vaters an. Dass der BGH und der VfGH von je unterschiedlichen Prämissen hinter der jeweiligen Zuordnungsnorm ausgehen, muss also nicht davon abhalten, die Argumentation des VfGH auch für das deutsche Recht fruchtbar zu machen.
Des Weiteren ist bemerkenswert, dass der VfGH nicht zwischen einer Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts und einer solchen aufgrund der sexuellen Orientierung differenziert.[20] Das Geschlecht ist ausdrücklich von Art. 14 EMRK erfasst. Die sexuelle Orientierung wird als „sonstiger Status“ berücksichtigt.[21] Doch das deutsche Verfassungsrecht schützt mit Art. 3 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 S. 1 GG explizit vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Die sexuelle Orientierung unterfällt dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wobei freilich ein verschärfter Prüfungsmaßstab zu berücksichtigen ist.[22] Insgesamt erscheint es deswegen sinnvoll, primär an eine Diskriminierung wegen des Geschlechts anzuknüpfen.[23] § 1592 BGB knüpft ausdrücklich an das männliche Geschlecht des zu zuordnenden Elternteils an. Die sexuelle Orientierung wird nur mittelbar dadurch berücksichtigt, dass ein mit einer Frau verheirateter Mann üblicherweise heterosexuell sein wird. Zwingend ist das aber nicht. Auch wenn eine solche mittelbare Diskriminierung einer unmittelbaren grundsätzlich gleichkommt,[24] scheint ein Umweg über Art. 3 Abs. 1 GG und die mittelbare Diskriminierung nicht angezeigt. Denn die speziellere Norm des Art. 3 Abs. 3 GG schützt explizit vor der unmittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts.
Eine solche Ungleichbehandlung kann zwar grundsätzlich durch Umstände, die „ihrer Natur nach“[25] nur eines der Geschlechter betreffen können, gerechtfertigt werden. Ob dafür die in einer verschiedengeschlechtlichen Paarbeziehung zumindest dem Grunde nach gegebene Fortpflanzungsmöglichkeit ohne medizinisch-assistierte Reproduktion ausreichen kann, erscheint zweifelhaft. Die einfachrechtliche Ausgestaltung entzieht dem vollständig die Grundlage. Wie das österreichische Recht, berücksichtigt das deutsche die vermeintlichen Umstände nicht konsequent. Ein Mann kann nach § 1592 Nr. 1 und 2 BGB auch bei einer Fremdsamenspende als Vater zugeordnet werden. Die rechtliche Elternschaft hängt nicht von der genetischen Vaterschaft ab.
Ebenfalls überzeugt es, wenn der VfGH eine Rechtfertigung unter dem Vorwand fehlender Instrumente zum Schutz etwa der sozialen Familie oder des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung ablehnt. Tatsächlich scheint es abwegig, eine gesetzgeberische Ungleichbehandlung durch das gesetzgeberische Versäumnis, angemessene Schutzinstrumente, rechtfertigen zu wollen.[26] Auch der deutsche Gesetzgeber wird sich darauf nicht zurückziehen können.[27]
III. Zusammenfassung
Somit stellt es auch aus deutscher Perspektive eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung dar, wenn der Partnerin der Geburtsmutter unter Hinweis auf ihre fehlende genetische Elternschaft[28] die rechtliche Elternschaft verwehrt wird.[29] Insoweit ist das durch den Koalitionsvertrag vereinbarte Reformvorhaben der Einführung einer Mitmutterschaft[30] vorbehaltlos zu begrüßen. Nun will der Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann einen ersten Gesetzesentwurf für die vermeintlich[31] unproblematischen Fälle, zu denen er offensichtlich auch den der registrierten Samenspende zählt, vorlegen.[32] Soll die Mitmutterschaft entsprechend daran geknüpft werden, dass sie auf eine registrierte Samenspende zurückzuführen ist? Davon wäre abzuraten, denn mit der oben dargestellten Argumentation des VfGH würde dies die Diskriminierung wegen des Geschlechts und den Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG und gegen Art. 14 EMRK iVm Art. 8 EMRK perpetuieren.[33] Vor diesem Hintergrund entspricht nur die vollständige Gleichstellung der weiblichen Partnerin der Geburtsmutter mit dem männlichen Partner dem Verfassungsrecht. Der daraus folgende Anpassungsbedarf im einfachen Recht ist erheblich. Er betrifft nicht nur die Zuordnung aufgrund der Ehe oder durch Anerkennung, sondern etwa auch Feststellungs-[34] oder Anfechtungsgründe.[35]
Joshua Kohler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Privat- und Prozessrecht der Georg-August-Universität Göttingen (Prof. Reuß).
[1] Entscheidungen des VfGH, die auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergehen, werden als Erkenntnis bezeichnet, vgl. § 19 Abs. 1 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG).
[2] Da der Begriff des Abstammungsrechts genetisch-biologische Faktoren bei der Eltern-Kind-Zuordnung überbetont, möchte ich in dieser Anmerkung den offeneren Begriff des Elternschaftsrechts zugrunde legen. Ebenso Dethloff, Was will der Staat? Mutterschaft als Regelungsaufgabe, in Röthel/Heiderhoff (Hrsg.), Regelungsaufgabe Mutterstellung: Was kann, was darf, was will der Staat?, 2016, S. 19 (22); Reuß, Theorie eines Elternschaftsrechts, 2018, S. 188.
[3] VfGH, Erkenntnis v. 30.6.2022 – G 230/2021-20.
[4] Vgl. VfGH, Erkenntnis v. 30.6.2022 – G 230/2021-20, Rn. 1 f.
[5] VfGH, Erkenntnis v. 30.6.2022 – G 230/2021-20, Rn. 14.
[6] Mit der Frage, ob § 144 Abs. 2 Nr. 1 ABGB analog bei einer bestehenden Ehe zwischen der Geburtsmutter und ihrer Partnerin anzuwenden ist, beschäftigt sich die unter VfGH, Erkenntnis v. 30.6.2022 – G 230/2021-20, Rn. 5 wiedergegebene Stellungnahme der österreichischen Regierung.
[7] So VfGH, Erkenntnis v. 30.6.2022 – G 230/2021-20, Rn. 16.
[8] VfGH, Erkenntnis v. 30.6.2022 – G 230/2021-20, Rn. 17.
[9] VfGH, Erkenntnis v. 30.6.2022 – G 230/2021-20, Rn. 18.
[10] VfGH, Erkenntnis v. 30.6.2022 – G 230/2021-20, Rn. 18.
[11] VfGH, Erkenntnis v. 30.6.2022 – G 230/2021-20, Rn. 19.
[12] VfGH, Erkenntnis v. 30.6.2022 – G 230/2021-20, Rn. 21. Mit Blick auf das Geschlecht fordert der EGMR sogar zwingende Gründe (EGMR, Urt. v. 16.11.2004 – 29865/96, Ünal Tekeli, FamRZ 2005, 427 Rn. 58). Vgl. auch Karpenstein/Mayer/Sauer, 3. Aufl. 2022, EMRK, Art. 14 Rn. 40.
[13] VfGH, Erkenntnis v. 30.6.2022 – G 230/2021-20, Rn. 29.
[14] VfGH, Erkenntnis v. 30.6.2022 – G 230/2021-20, Rn. 31.
[15] VfGH, Erkenntnis v. 30.6.2022 – G 230/2021-20, Rn. 33.
[16] Begriff nach Reuß, Theorie eines Elternschaftsrechts, 2018, S. 137.
[17] BGH, Beschl. v. 10.10.2018 – XII ZB 231/18, BGHZ 220, 58 Rn. 22 = FamRZ 2018, 1919 Rn. 22.
[18] BT-Drs. 13/4899, S. 82.
[19] Reuß, FamRZ 2021, 824 (825).
[20] Vgl. VfGH, Erkenntnis v. 30.6.2022 – G 230/2021-20, Rn. 21.
[21] EGMR, Urt. v. 24.6.2010 – 30141/04, Schalk und Kopf, BeckRS 2010, 91038; Karpenstein/Mayer/Sauer, 3. Aufl. 2022, EMRK, Art. 14 Rn. 28.
[22] BVerfG, Urt. v. 19.2.2013 – 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, BVerfGE 133, 59 Rn. 73 = FamRZ 2013, 521 (526); Sachs/Nußberger, 9. Aufl. 2021, GG, Art. 3 Rn. 291.
[23] Darauf stellt auch Reuß, FamRZ 2021, 824 (825) ab.
[24] Vgl. BVerfG, Urt. v. 30.1.2002 – 1 BvL 23/96, BVerfGE 104, 373 (393) = FamRZ 2002, 306 (310).
[25] BVerfG, Urt. v. 28.1.1992 – 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83, 10/91, BVerfGE 85, 191 (207); Dürig/Herzog/Scholz/Langenfeld, 97. Ergänzungslieferung, Januar 2022, GG, Art. 3 Abs. 2 Rn. 83.
[26] Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass etwa § 20 Abs. 2 FMedG auch bei verschiedengeschlechtlichen Paaren nur dann greift, wenn Methoden medizinisch-assistierter genutzt wurden.
[27] Zu denkbaren Lösungen für das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung siehe Reuß, Theorie eines Elternschaftsrechts, 2018, S. 475–489.
[28] Insbesondere kann das Kind im Falle einer reziproken Eizellenspende sogar von der Partnerin der Geburtsmutter genetisch abstammen. Dazu Dethloff, Reziproke In-vitro-Fertilisation – Eine neue Form gemeinsamer Mutterschaft, in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 41.
[29] Überzeugend Reuß, FamRZ 2021, 824 (825 f.).
[30] SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Koalitionsvertrag, 2021, S. 101. Dazu Flindt, StAZ 2022, 66.
[31] Zweifelnd Reuß, FamRZ 2022, 1294.
[32] Vgl. nur den Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 16.7.2022, FDP setzt auf rechtliche Gleichstellung lesbischer Mütter, abrufbar unter https://www.sueddeutsche.de/leben/gesellschaft-fdp-setzt-auf-rechtliche-gleichstellung-lesbischer-muetter-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220716-99-44746 (zuletzt geprüft am 16.8.2022).
[33] Anders wäre dies nur, sofern zugleich die Zuordnungsmechanismen für die Vaterschaft entsprechend beschränkt würden. Diese Möglichkeit liegt aber fern.
[34] Zur Vaterschaftsfeststellung bei Durchführung einer Becherspende vgl. etwa jüngst OLG Stuttgart, Beschl. v. 7.4.2022 – 11 UF 39/22, FamRZ 2022, 1292 (m. Anm. Reuß).
[35] Formulierungsvorschlag bei Reuß, FamRZ 2021, 824 (828 f.) und eingehende Begründung bei Reuß, Theorie eines Elternschaftsrechts, 2018, S. 294–469.