Nach höchstrichterlichen Entscheidungen in einigen europäischen Ländern wie Deutschland, Österreich und Frankreich entschied nunmehr auch das schweizerische Bundesgericht (im Folgenden: Bundesgericht) in zwei Fällen zu der Anerkennung der im Ausland festgestellten Elternschaft genetischer und nichtgenetischer Wunscheltern nach einer durchgeführten Leihmutterschaft.
Im Fall der ersten Entscheidung vom 21. Mai 2015 (BGE 141 III 312 ff.), in dem das Kind mit einem der Wunschväter genetisch verwandt war, bestimmte das Bundesgericht zunächst, dass die Herstellung eines Kindschaftsverhältnisses zu zwei miteinander rechtlich verbundenen Männern durch ein kalifornisches Urteil grundsätzlich nicht gegen den schweizerischen ordre public verstoße.
Jedoch liege ein solcher Verstoß in dem Falle vor, in dem schweizerische Staatsangehörige zur Umgehung des nationalen Leihmutterschaftsverbots (siehe Art. 119 Abs. 2 lit. d Bundesverfassung, Art. 2 lit. k FMedG) in Kalifornien eine Leihmutterschaft durchgeführt haben. Insbesondere könne die Art und Weise der Entstehung des Kindesverhältnisses im konkreten Fall nicht außer Acht gelassen werden:
„Wenn indes die Beschwerdegegner – als schweizerische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Schweiz ohne weiteren Bezug zu Kalifornien – die Leihmutterschaft gerade zur Vermeidung des schweizerischen Verbotes in Kalifornien durchgeführt haben, stellt ihr Vorgehen eine rechtlich relevante Rechtsumgehung dar. Grund dafür ist, dass die Rechtsordnung offensichtlich um die von ihr beabsichtigte Wirkung ihrer Vorschriften gebracht werden soll, wobei diese Vorschriften vor der Verletzung der Moral, das öffentliche Interesse und die Menschenwürde schützen sollen.“
Im Gegensatz zum deutschen Kollisionsrecht, in dem die Existenz und dogmatische Einordnung der Gesetzesumgehung umstritten ist (siehe nur Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Auflage 2006, S. 159 ff.), bejahte das Bundesgericht damit eine Gesetzesumgehung im Rahmen des ordre public-Verstoßes.
Das Bundesgericht schränkte die Rechtsfolge dieser Gesetzesumgehung – die Nichtanerkennung der im Ausland etablierten Elternschaft – allerdings zu Gunsten des mit dem Kind genetisch verwandten Vaters auf Grund der Rechtsprechung des EGMR (Mennesson gg. Frankreich, Az. 65192/11 und Labassée gg. Frankreich, Az. 65941/11), der die Anerkennung der im Ausland hergestellten abstammungsrechtlichen Beziehung zwischen dem Kind und dem genetischen Vater auf Grund des Artikel 8 EMRK (Privatleben des Kindes) fordert, ein.
Fraglich bleibt, ob die Rechtsprechung des EGMR zur Anerkennung der Elternschaft des genetischen Wunschvaters ohne Weiteres auf die Fälle der Anerkennung der im Ausland festgestellten Mutterschaft einer mit dem Kind genetisch verwandten Wunschmutter, deren befruchtete Eizelle der Leihmutter eingesetzt wurde, übertragbar ist. Angesichts der doch in vielen nationalen Rechtsordnungen verankerten mater semper certa est-Regel, die die rechtliche Mutterschaft ausschließlich an die biologische Mutterschaft durch Geburt und nicht an die genetische Verwandtschaft anknüpft, erscheint dies zweifelhaft.
In einer zweiten Entscheidung vom 14. September 2015 (BGE 141 III 328 ff.) verneinte das Bundesgericht auf Grund einer Gesetzesumgehung ebenfalls die Anerkennung einer in Kalifornien festgestellten Elternschaft von verheirateten Ehegatten, die auf Grund einer Embryonenspende mit dem Kind nicht genetisch verwandt waren:
„Vorliegend ist die Rechtsumgehung jedoch offensichtlich: Die Beschwerdeführer sind schweizerische bzw. deutsche Staatsangehörige, sie hatten und haben ununterbrochen Wohnsitz in der Schweiz und auch ihre Ehe weist keinen Berührungspunkt mit den USA auf. Der primäre Bezug zu den USA ist das Faktum der Rechtsumgehung, welche schließlich auch den dortigen Geburtsort der Kinder determiniert hat. Das Vorgehen der Beschwerdeführer ist dadurch geprägt, dass es in der Vermeidung eines in der Schweiz als fundamental angesehenen Verbots besteht und sich auch darin erschöpft. Es stellt deshalb eine rechtlich relevante Gesetzesumgehung dar (…)“.
Unabhängig von einer Gesetzesumgehung sei aber ein Verstoß gegen den ordre public aus einem anderen Grund gegeben:
„Bei der Begründung eines Kindesverhältnisses zu Wunscheltern, welche weder einen genetischen noch einen biologischen Bezug zum Kind haben, besteht eine funktionale Nähe zum Adoptionsrecht.“
Daher sei ein Adoptionsverfahren zur konkreten Überprüfung des Kindeswohls notwendig.
Ob die mit Verweis auf eine vermeintliche „Sachnähe“ (vielfach vertretene) Lösung über eine Adoption der bessere Weg wäre, bleibt zweifelhaft. Denn auch hier bestehen zwei gewichtige Argumente, die auch der deutsche Bundesgerichtshof in einem Fall, in dem einer der Wunschväter mit dem Kind genetisch verwandt war, zur Ablehnung der Adoptionslösung vorgebracht hat (Beschluss vom 10.12.2014, Az. XII ZB 463/13, Rn. 67 ff.): das Adoptionsverfahren ist mit Unwägbarkeiten verbunden, etwa wenn dabei ein Elternteil von der erstrebten Elternrolle Abstand nimmt. Zudem spricht das gedachte Ergebnis eines solchen Adoptionsverfahrens, das aus Kindeswohlgründen im Regelfall zu einer Zuordnung zu den Wunscheltern führen wird, gegen die ordre public-Widrigkeit einer abstammungsrechtlichen Lösung. Diese Einwände gelten aber auch unabhängig von einer genetischen Verwandtschaft des Kindes mit den Wunscheltern.
Hält man an der zwingenden Dichotomie von Abstammung und Adoption fest, so liegt doch auf Grund der finalen Kausalität der Wunscheltern für die Kindesentstehung eine funktionale Nähe zum Abstammungsrecht vor. Eine solche Auffassung führt auch nicht zu willkürlich anmutenden unterschiedlichen Ergebnissen, wenn etwa, wie im EGMR-Fall Paradiso und Campanelli gg. Italien (Az. 25358/12) die Wunscheltern auf Grund eines Fehlers der Reproduktionsklinik doch keinen genetischen Bezug zum Kind haben und nunmehr der Adoptionslösung unterfielen. Auf Grund der durch die finale Kausalität zur Kindesentstehung ausgedrückten tatsächlichen Verantwortungsübernahme sollte unabhängig von der genetischen Verwandtschaft das schutzbedürftige Kind seinen schutzbereiten Wunscheltern abstammungsrechtlich zugeordnet werden.
Stefanie Sucker verfasst derzeit eine Dissertation mit dem Arbeitstitel „Mater non iam certa est? – Die Anerkennung der im Ausland begründeten originären Mutterschaft in grenzüberschreitenden Leihmutterschaftssachverhalten. Ein Kollisionsrechtsvergleich des deutschen sowie niederländischen, französischen und österreichischen internationalen Abstammungsrechts.“ Sie ist zugleich Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Familienrecht bei Frau Professor Dethloff, Universität Bonn.
Eine Antwort zu “Stefanie Sucker: Fraus omnia corrumpit? – Gesetzesumgehung in grenzüberschreitenden Leihmutterschaftsfällen”
[…] internationaler Konsens zum Umgang mit Leihmutterschaft existiert nicht. Wie in allen kürzlich entschiedenen Fällen zur Leihmutterschaft wurden auch hier nach dem […]