Das Abstammungsrecht im Koalitionsvertrag der Ampel


Am gestrigen Mittwoch haben SPD, FDP und Grüne ihren Koalitionsvertrag für die kommenden vier Jahre vorgestellt. Was die Ampel im Abstammungsrecht vorhat, sehen wir uns hier an:

„Mehr Fortschritt wagen“ heißt der neue Vertrag. Ob auch die abstammungsrechtlichen Pläne wirklich fortschrittlich sind, wollen wir uns näher ansehen. Auf S. 101 finden sich im von der SPD veröffentlichten Dokument, das hier eingesehen werden kann: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf, folgende Formulierungen zu den familienrechtlichen Reformplänen der Ampel:

„Wir werden das Familienrecht modernisieren. Hierzu werden wir das „kleine Sorgerecht“ für soziale Eltern ausweiten und zu einem eigenen Rechtsinstitut weiterentwickeln, das im Einvernehmen mit den rechtlichen Eltern auf bis zu zwei weitere Erwachsene übertragen werden kann. Wir werden das Institut der Verantwortungsgemeinschaft einführen und damit jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen. Wir wollen Vereinbarungen zu rechtlicher Elternschaft, elterlicher Sorge, Umgangsrecht und Unterhalt schon vor der Empfängnis ermöglichen.“ [Hervorhebungen durch Verf.]

1. Grundstruktur des Abstammungsrechts

Ausweislich dieser Ausführungen ist daher eine deutliche Stärkung intentionaler Elternschaft und privatautonomer Entscheidungen der Beteiligten auch im Abstammungsrecht gewollt. Welche Regelungen hier im Detail erstrebt werden, kann man freilich nur erahnen, allerdings entspricht es ganz generell der überwiegenden Ansicht in der Wissenschaft, dass eine Ausweitung privatautonomer Gestaltungsfreiheit auch im Bereich des Abstammungsrechts erforderlich ist.

Dass bereits vor der Empfängnis des Kindes Vereinbarungen über die rechtliche Elternposition und die aus dem Elternrecht folgenden Einzelausprägungen (elterliche Sorge, Umgang, Unterhalt) getroffen werden können sollen, soll ganz offensichtlich den geänderten Familien- und Eltern-Kind-Konstellationen gerecht werden, die sich aus dem familialen Wandel ergeben. Gerade im Bereich der sog. queer-families bildet das geltende Recht tatsächlich gelebte Eltern-Kind-Konstellationen nicht hinreichend ab. Aber auch Pflege- und Stieffamilien bringen Anforderungen mit sich, denen das geltende Recht nur unzureichend begegnet. Dieser Pluralisierung von Elternschaft gedenkt die Ampel ganz offensichtlich über eine Fortentwicklung des „kleinen Sorgerechts“ (§ 1687b BGB) gerecht zu werden, das allerdings als Instrument bereits derzeit scharfen Kritikpunkten unterliegt. Diese Kritikpunkte gilt es freilich bei der angedachten Fortentwicklung abzubilden. Mit diesen Plänen ist damit letztlich eine rechtliche Mehrelternschaft im Sinne einer Vollelternschaft, wie sie in der Literatur teilweise angedacht worden ist, vom Tisch.

Interessant mit Blick auf moderne Eltern-Kind- und Familienkonstellationen wird auch sein, inwieweit die Ampel gedenkt, das neue Institut der Verantwortungsgemeinschaft (wie auch immer dieses genau ausgestaltet sein und welche Funktionen es erfüllen soll: Mehrgenerationale Familienverbünde Großeltern-Eltern-…, Familiengemeinschaft iSe erweiterten Elterngemeinschaft, rechtlich verfasste Beistandsgemeinschaft zwischen Personen derselben Generation jenseits der Ehe iSd französischen PACS von zwei oder mehr (wie viele?) Personen?) mit den Vorstellungen über ein geändertes Abstammungsrecht kombinieren wird. Hier sind viele Schnittstellen denkbar, die aufeinander abgestimmt werden müssen. Keine einfache Aufgabe, wenn man dies konsistent hinbekommen möchte.

2. Mit-Mutterschaft

Des Weiteren sieht das Papier explizit vor, dass nun endlich die automatische Mit-Mutterschaft, d.h. die rechtliche Elternschaft der mit der Geburtsmutter (§ 1591 BGB) verheirateten Frau kommen soll.

„Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist. Die Ehe soll nicht ausschlaggebendes Kriterium bei der Adoption minderjähriger Kinder sein.“[Hervorhebungen durch Verf.]

Das ist letztlich auch zu erwarten gewesen, denn die Pläne zur Mit-Mutterschaft sind bereits sehr lange Gegenstand einer Reformdiskussion und entsprechen den langjährigen Forderungen aus der Wissenschaft.

Neben der automatischen Mit-Mutterschaft durch Ehe soll auch eine Elternschaftsanerkennung möglich sein.

„Auch außerhalb der Ehe soll die Elternschaftsanerkennung unabhängig vom Geschlecht der anerkennenden Person oder von einem Scheidungsverfahren möglich sein.“[Hervorhebungen durch Verf.]

Dies ist ebenfalls zu begrüßen, da es damit gleichgeschlechtlichen weiblichen Paaren ermöglicht, auch ohne Trauschein im Geburtszeitpunkt in die rechtliche Elternposition einzurücken. Den hindernisreichen und für die Beteiligten rechtlich nicht sicheren Umweg über die Adoption, der bislang erforderlich ist, müssen diese Paare dann nicht mehr beschreiten.

3. Allgemeines Abstammungsklärungsverfahren & Samenspenderregister

Des Weiteren ist vorgesehen, den gegenwärtigen Anspruch auf Klärung der genetischen Abstammung nach § 1598a BGB in ein statusneutrales Abstammungsfeststellungsverfahren umzugestalten. Dies entspricht Forderungen aus der Literatur und ermöglicht es auch außerhalb der rechtlichen Familienzuordnung (Vater-Mutter-Kind) eine Abstammungszuordnung zu klären, ohne die rechtliche Verwandtschaft durch Anfechtung beseitigen zu müssen. Dies wird insbesondere dem Interesse des Kindes an Kenntnis seiner genetischen Ursprünge gerecht, das unabhängig von dem Wunsch bestehen kann, die rechtliche Vaterschaft des sozialen Vaters zu beseitigen. Besonderer Bedeutung kommt dieser Kenntnis bei der Identitätsbildung eines Menschen zu. Indirekt wird damit gleichzeitig auch das Element der sozialen Elternschaft gestärkt, denn der nicht-genetische aber soziale rechtliche Elternteil des Kindes kann in der rechtlichen Elternposition verbleiben.

Im Koalitionvertrag heißt es hierzu:

„Wir werden ein statusunabhängiges Feststellungsverfahren einführen, in dem ein Kind seine Abstammung gerichtlich klären lassen kann ohne zugleich die rechtliche Elternschaft anfechten zu müssen„[Hervorhebungen durch Verf.]

Wünschenswert wäre vor dem Hintergrund moderner medizinisch-assistierte Reproduktion, die bei der Kindesentstehung heute immer häufiger auch eine Rolle spielt, dieses Verfahren auf die übrigen Entstehungszusammenhänge des Kindes auszuweiten. Denn das Interesse des Kindes beschränkt sich insoweit nicht auf die Abstammungskenntnis. Weiß das Kind beispielsweise nicht, dass es medizinisch-assistiert gezeugt wurde, wird es auch die betreffende Person für die Abstammungsfeststellung nicht ermitteln können.

Zu befürworten ist ferner, dass das Samenspenderregister erweitert werden soll und private Spenden und Embryonenspenden (die es ja im Inland ebenfalls gibt) mit hinein sollen. Wie private Spenden erfasst werden können, wird freilich eine praktische Schwierigkeit darstellen, die es zu lösen gilt. Ob dies über eine Verpflichtung oder eine freiwillige Eintragungsmöglichkeit geschehen soll, geht aus dem Text freilich nicht hervor.

4. Reproduktive Selbstbestimmung

Stärken möchte die neue Regierung auch die reproduktive Selbstbestimmung. Auf S. 116f. des Koalitionsvertrags nimmt sich die Ampel-Koalition vor, ungewollt Kinderlosen unabhängig von medizinischer Indikation, Familienstand und sexueller Identität Zugang zu medizinisch-assistierten Reproduktion zu ermöglichen. Zwar spricht der Vertrag nur von „förderfähig“ und meint damit vermutlich vor allen Dingen die Kostentragung durch Krankenkassen, gleichwohl müssten hierzu die Zugangsvoraussetzungen aus medizinrechtlicher Sicht geklärt und bestenfalls in einem Fortpflanzungsmedizingesetz bundeseinheitlich geregelt werden (derzeit regelt das das ärztliche Berufsrecht(!) und auch das nur unvollständig).

Altruistische Leihmutterschaft und Eizellenspende sollen ferner von einer Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin auf ihre Machbarkeit überprüft werden. Das ist freilich enttäuschen, da in der Wissenschaft hierzu umfassende Vorarbeiten existieren. Man fühlt sich an den Spruch erinnert: „Wenn Du nicht mehr weiter weißt, bilde einen Arbeitskreis…“ Es scheint, dass die Thematik einen Streitpunkt darstellt, der von den Koalitionspartnern unterschiedlich beurteilt wird. Man darf daher sehr wahrscheinlich insoweit nicht mit viel Fortschritt rechnen. Leider…

5. Schlussbetrachtung

Der Koalitionsvertrag ist nach Jahren des auf der Untätigkeit des Gesetzgebers beruhenden familienrechtlichen Entwicklungsstillstands ein Lichtblick. Wenn die Koalitionspartner die angesprochenen Themen tatsächlich anpacken, wird sich im Familienrecht etwas (vielleicht auch etwas mehr?) bewegen.

Wie es mit derartigen politischen Programmerklärungen aber so ist, sie stellen das Programm vor, allerdings definieren sie freilich nicht detailliert, wie sich die Erklärenden die Ausgestaltung der einzelnen Programmpunkte vorstellen. Wünschenswert wäre mit Blick auf das Abstammungsrecht insbesondere gewesen, etwas stärker die konzeptionelle Ausrichtung des Abstammungsrechts zu betrachten und dieses in den größeren Zusammenhang des familialen Wandels, der zu veränderten Eltern-Kind-Konstellationen führt, zu stellen. In einem Gesetzgebungsverfahren muss dies unbedingt geschehen, will man ein stimmiges System der rechtlichen Eltern-Kind-Zuordnung schaffen. Wünschenswert wäre auch gewesen, die Sekundärzuordnungsebene (Anfechtungsregelungen) mit in die Betrachtung zu ziehen. Wer Zuordnungsmöglichkeiten wie die Mit-Mutterschaftsanerkennung schafft, der muss damit rechnen, dass Konflikte über die Elternschaftszuordnung entstehen. Auch Anfechtungsrechte müssen für diese Fälle mitbedacht werden. Derartigen Konflikten werden auch freiwillige Ausweitungen des „kleinen Sorgerechts“, wie sie die Ampel erstrebt, nicht gerecht. Abschließend sollten auch die weiteren Problemstellen des Abstammungsrechts bei einer Reform Berücksichtigung finden, z.B. bei medizinisch-assistierter Reproduktion durch unverheiratet Paare. Hier sollte unbedingt die Möglichkeit derAbstammungszuordnung sichergestellt werden, auch dann, wenn nach Zeugungsentscheidung die Paarbeziehung zerbricht und eine Zuordnung durch Anerkennung nicht mehr denkbar ist. Eine gerichtliche Elternschaftsfeststellung ist hier notwendig.

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