EGMR und EuGH haben jüngst lesenswerte Entscheidungen in Leihmutter- und Mit-Mutterschaftssachen erlassen. Beide Male ging es um die Anerkennung der rechtlichen Abstammungsbeziehung des Kindes zu den (Wunsch)eltern und den aus der rechtlichen Abstammung folgenden Erwerb der Staatsangehörigkeit bzw. die Ausstellung von Ausweisdokumenten aufgrund eines Staatsangehörigkeitserwerbs. Entsprechend lautende Anträge der Beteiligten wurden von den polnischen (EGMR-Verfahren) bzw. den bulgarischen (EuGH-Verfahren) Behörden abgelehnt.
1. EGMR, Beschl. v. 16.11.2021 – SH gegen Polen
Mit Beschluss vom 16.11.2021 (Beschwerden Nr. 56846/15 und 56849/15, S.H. gegen Polen) hat der EGMR seiner Leihmutterschafts-Rechtsprechung einen weiteren Baustein hinzugefügt. Im konkreten Verfahren wurde ein Verstoß gegen die Verfügungen der EMRK (Art. 8 und Art. 14) aufgrund der Nichtanerkennung der durch Leihmutterschaft herbeigeführten Eltern-Kind-Beziehung mit Blick auf die Verleihung der polnischen Staatsangehörigkeit verneint.
Die Beschwerden betrafen die Konstellation zweier in Israel lebender, gleichgeschlechtlicher Wunschväter, die in Kalifornien eine verheiratete Leihmutter mit der Austragung eines Kindes beauftragt hatten. Beide Väter waren israelische Staatsangehörige. Der Wunschvater, dessen Samenzellen neben einer anonymen Eizellenspende für die medizinisch-assistierte Reproduktion herangezogen wurden, hatte darüber hinaus auch die polnische Staatsangehörigkeit. 2010 wurden Zwillinge geboren und die rechtliche Elternschaft der Wunschväter durch parental order vom zuständigen US-Gericht festgestellt. Einen Antrag auf Feststellung der polnischen Staatsangehörigkeit der Kinder, wurde von den polnischen Behörden mit dem Argument abgelehnt, dass die rechtliche Elternschaft des Wunschvaters aufgrund der Leihmutterschaftskonstellation nicht anerkannt werden könne.
Der EGMR verneint mit durchaus kritikwürdiger und reichlich knapper Begründung einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK (Schutzbereich des Privat- und des Familienlebens) mit dem Argument, dass die Nichtanerkennung der Eltern-Kind-Beziehung und damit die Ablehnung der Anerkennung der polnischen Staatsangehörigkeit keine nachhaltigen negativen Auswirkungen auf das Privatleben der Beteiligten gehabt habe („sufficiently serious negative consequences for the applicants“). Dies begründet der EGMR insbesondere damit, dass die Beteiligten ihren Lebensmittelpunkt in Israel hätten, wo die rechtliche Eltern-Kind-Beziehung gerade anerkannt werde. Praktische Schwierigkeiten, die die Beteiligten zweifellos erfahren hätten, würden die relevante Messlatte eines Konventionsverstoßes nicht überschreiten. Auch ein von den Beteiligten vorgetragener und angedachter Umzug nach Polen lasse kein anderes Ergebnis besorgen. Nachteile wären lediglich spekulativ und hypothetischer Natur („speculative and hypothetical“). Dass die Zuweisung der Staatsangehörigkeit aufgrund der Verwendung des Staatsangehörigkeitskriteriums als Anknüpfungsmoment im Internationalen Privatrecht durchaus eine wichtige Rolle spielen kann, wird nicht näher problematisiert. Ach werden Fragen des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts, die bei einem tatsächlichen Umzug nach Polen oder etwa in jeden anderen Staat durchaus rechtliche Auswirkungen haben können, vom EGMR nicht betrachtet, was misslich ist.
Die Entscheidung ist hier abrufbar: https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-214296
2. EuGH, Urt. v. 14.12.2021, Rs. C-490/20 – VMA gegen Stolichna obshtina, rayon „Pancharevo“
In der Entscheidung des EuGH ging es um einen Mit-Mutterschaftsfall. Konkret hatten zwei verheiratete, in Spanien wohnende Frauen im Wege (medizinisch?-)assistierte Zeugung in Spanien ein Kind bekommen. Eine der Mütter ist bulgarische Staatsangehörige, die andere ist Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs. Die spanische Geburtsurkunde wies beide Frauen als rechtliche Mütter aus. Welche der beiden Frauen das Kind geboren hat, geht aus der Urkunde nicht hervor. Ebenso ist diese Tatsache von den Verfahrensbeteiligten nicht offenbart worden. Ein Antrag auf Ausstellung einer bulgarischen Geburtsurkunde, die nach bulgarischem Recht Voraussetzung für die Ausstellung eines bulgarischen Reisepasses ist, wurde von den Behörden abgelehnt, da die Eintragung zweier Frauen als Mütter dem ordre public widerspreche. Im Rechtsmittelverfahren wurde zwar das Bestehen der bulgarischen Staatsangehörigkeit aufgrund der Abstammung von der bulgarischen Mutter nicht in Zweifel gezogen, jedoch legte das erkennende Gericht dem EuGH die Frage vor, ob die bulgarischen Behörden aufgrund Art. 21 AEUV zur Anerkennung der spanischen Rechtslage, die in der spanischen Geburtsurkunde „verbrieft“ sei, verpflichtet sind. Damit stand, anders als im oben skizzierten Fall, nicht die Anerkennung des rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses für die Frage des Erwerbs der Staatsangehörigkeit in Frage, sondern streng genommen nur die Verpflichtung zur Ausstellung einer bulgarischen Geburtsurkunde mit dem der spanischen Urkunde entsprechenden Inhalt.
Aufgrund der Feststellungen des vorlegenden Gerichts geht auch der EuGH davon aus, dass das Kind die bulgarische Staatsangehörigkeit besitzt und damit Unionsbürger ist. Mit Verweis auf die namenrechtliche Rechtsprechung stellt der EuGH fest, dass Art. 21 AEUV auch dazu verpflichte, die in Spanien begründete Rechtslage mit Blick auf den Nachnamen für die Frage der Ausstellung eines Reisepasses anzuerkennen. Das Kind sei mit dem Nachnamen, der aus der spanischen Urkunde hervorgehe, im Reisepass einzutragen.
Das Abhängigmachen der Ausstellung des Reisepasses von der vorherigen Ausstellung einer bulgarischen Geburtsurkunde sei ferner unionsrechtswidrig, da Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 (Freizügigkeitsrichtlinie) eine Pflicht der Mitgliedstaaten, für ihre Staatsangehörigen ein Reisedokument auszustellen, unabhängig von einer inländischen Geburtsurkunde begründe.
Ferner sei unstrittig, dass zwischen den Beteiligten in Spanien rechtmäßig ein rechtliches Eltern-Kind-Verhältnis begründet worden sei. Art. 21 AEUV verlange für die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit, dass dieses in Spanien rechtswirksam begründete Abstammungsverhältnis auch in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Bulgarien) anerkannt werde. Damit erstreckt der EuGH seine Feststellungen zum Namensrecht auch auf andere Statusverhältnisse, hier das Familienrecht.
Eine Verweigerung der Anerkennung mit Blick auf den ordre public bzw. die nationale Identität (Art. 4 Abs. 2 EUV) sei in diesem Falle nicht möglich, da die Anerkennung des rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses mit Blick auf die Ausübung der in Art. 21 AEUV verbürgten Freizügigkeit nicht zur nationalen Identität bzw. dem ordre public gehöre. Somit könne aus diesen Gründen die Ausstellung des Reisepasses nicht verweigert werden. Hierzu heißt es im Urteil:
„Diese Pflicht bedeutet nämlich nicht, dass der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger das Kind ist, in seinem nationalen Recht die Elternschaft von Personen gleichen Geschlechts vorsehen müsste oder das Abstammungsverhältnis zwischen dem Kind und den Personen, die in der von den Behörden des Aufnahmemitgliedstaats ausgestellten Geburtsurkunde als seine Eltern genannt sind, zu anderen Zwecken als der Ausübung der diesem Kind aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte anerkennen müsste (vgl. entsprechend Urteil vom 5. Juni 2018, Coman u. a., C‑673/16, EU:C:2018:385, Rn. 45 und 46).“ (Rn. 57 des Urteils)
Damit erstreckt der EuGH seine bereits aus dem Namensrecht bekannte Rechtsprechung auch auf das Abstammungsrecht und statuiert das Anerkennungsprinzip auch im Familienrecht.
Die Entscheidung wird in diesem Blog in Kürze detailliert besprochen werden.
Die Entscheidung ist hier abrufbar: https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf;jsessionid=8D35E94E2D309AE1691292CF731FDF7C?text=&docid=251201&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=185786