Das OLG Celle hat in seinem Beschluss vom 21. Januar 2015 festgestellt, dass auch nach der jüngsten Änderung des § 22 PStG kein Anspruch auf die Eintragung der Geschlechtsangabe als „inter“ oder „divers“ in das Personenstandsregister besteht. (OLG Celle, Beschluss vom 21.1.2015- 17W 28/14) Dies hat bedeutende Auswirkungen insbesondere in grenzüberschreitenden Fällen.
I. Sachverhalt
Die Antragstellerin hatte sich an die zuständige Standesamtsaufsicht mit dem Anliegen gewandt, ihre Geschlechtsangabe im Personenstandsregister von “weiblich“ in „inter“ oder „divers“ zu ändern. Als Grund gab die Antragstellerin an, dass sie weder Mann noch Frau sei und daher eine Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten ablehne.
Die Standesamtsaufsicht wies die Antragstellerin darauf hin, dass eine solche Änderung nicht möglich sei, da der Gesetzgeber nur die Möglichkeit vorsehe, sich zwischen einem der beiden Geschlechter oder gar keiner Angabe zu entscheiden. Die darauf folgende Klage vor dem Amtsgericht, in dem die Antragstellerin versuchte, einen solchen Anspruch auf die Eintragung eines intersexuellen Geschlechts geltend zu machen, hatte jedoch keinen Erfolg. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass sich der Gesetzgeber klar für eine binäre Geschlechterordnung entschieden habe und dem Begehren der Klägerin dadurch ausreichend Rechnung getragen werde, dass die Möglichkeit besteht, gar kein Geschlecht anzugeben.
II. Rechtsfragen
Schon seit langem beschäftigen sich Gesetzgeber, Gerichte aber auch zahlreiche Organisationen mit der Frage, ob die Vorgabe eines binären Geschlechtersystems noch zeitgemäß ist. Dabei ist es nicht immer einfach, den bestehenden Interessenkonflikten gerecht zu werden und vor allem auch die Bedürfnisse der Betroffenen ausreichend zu berücksichtigen.
1. Wortstamm
Zunächst sollte klar gestellt werden, was unter dem Begriff von inter- oder divers-sexuellen Menschen zu verstehen ist. Intersexualität setzt sich aus dem lateinischen Präfix „inter“ (zwischen) und „sexus“ (Geschlecht) zusammen und bedeutet übersetzt „Zwischengeschlechtlichkeit“. Die Medizin fasst unter diesen Begriff Menschen, die genetisch und/oder anatomisch sowie hormonell nicht eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden können. Zu unterscheiden sind diese von Transgendern, welche sich mit ihrem zugewiesenen Geschlecht unzureichend beschrieben fühlen oder die Kategorisierung in Geschlechter ablehnen sowie den Transsexuellen, die zwar biologisch eindeutig einem Geschlecht angehören, sich aber einem anderen zugehörig fühlen. In Deutschland leben Schätzungen zufolge ca. 80.000 Menschen mit intersexuellen Merkmalen.
2. Rechtslage in Deutschland
Intersexualität war in Deutschland lange ein ungeliebtes Thema. Der Gesetzgeber vermied es bislang erfolgreich, sich damit auseinanderzusetzen. Jedoch erscheint dieser Umgang angesichts der ca. 80.000 Menschen mit intersexuellen Merkmalen in Deutschland untragbar. Um ihnen gerecht zu werden, ist es unabdingbar, endlich Regeln zu schaffen, die ihnen eine klare Position zugestehen.
a. Gesetzliche Vorschriften
Die Geschlechterzugehörigkeit wird in Deutschland im Personenstandsregister (PStG) geregelt. Unter anderem trifft dieses auch Aussagen dazu, wie mit einer fehlenden, eindeutigen Zuordnung eines Geschlechts umgegangen werden soll. § 22 Abs. 3 PStG sieht vor, dass in diesem Fall die Möglichkeit besteht, die Angabe im Geburtenregister ohne Bestimmung des Geschlechts vorzunehmen. Diese erst im November 2013 auf Empfehlung des deutschen Ethikrates eingeführte Erweiterung des § 22 PStG sollte jedoch nicht dazu führen, das in Deutschland bestehende, binäre Geschlechtersystem aufzuheben. Vielmehr, so ein Sprecher des Bundestags, werde somit nur ein längerer Zeitraum geschaffen, um den Eltern den Druck einer vorschnellen Entscheidung für ein Geschlecht und die damit meist einhergehenden Operationen an dem Säugling abzunehmen. Schon im Jahre 2009 war die Bundesregierung von einem Ausschuss der Vereinten Nationen für ihr Verhalten im Thema Intersexualität gerügt worden, da der Schutz vor Diskriminierung in Deutschland nicht ausreichend genug sei. Zudem widerspräche es der Menschenwürde, dass zahlreiche Operationen an Säuglingen vorgenommen werden, um möglichst schnell ein „eindeutiges Geschlecht“ und damit die Eintragung im Geburtenregister zu erreichen. Dem sollte die Einführung des § 22 Abs. 3 PStG Abhilfe schaffen.
Jedoch wird noch immer viel Kritik an der vorhandenen Regelung geäußert. Zwar stelle die neue Regelung einen Fortschritt dar, jedoch fühlten sich die meisten Betroffenen in ihren Bedürfnissen nicht ausreichend wahrgenommen, indem ihnen nur die Möglichkeit zusteht, kein Geschlecht anzugeben. Es ist nämlich gerade nicht so, dass sie kein Geschlecht haben und sich deshalb nicht mit der Bezeichnung „geschlechtslos“ zufrieden geben wollen. Dazu müsse nur die bestehende, enge Sichtweise der Geschlechterzugehörigkeit aufgehoben werden. Die bisher bestehende binäre Geschlechterform entspreche nicht der Natur – darauf müsse das deutsche Rechtssystem reagieren.
b. Bestehen eines Anspruchs
Die Antragstellerin vor dem OLG Celle ging jedoch noch einen Schritt weiter: sie beanspruchte eine Eintragung als „intersexuell“ im Geburtenregister, indem sie angab, § 22 Abs. 3 PStG gebe ihr einen Anspruch darauf. § 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG gibt vor, dass im Geburtenregister auch das Geschlecht eingetragen wird. Dabei ist „Geschlecht“ jedoch verfassungskonform auszulegen, da die geschlechtliche Identität als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 2 Abs. 1 GG) grundrechtliche geschützt ist. Dieser Schutz, so die Antragstellerin, sei nur dann gegeben, wenn die Art der Angabe des Geschlechts frei gewählt werden könne. Dabei verkennt die Antragsstellerin nach Ansicht des OLG Celle jedoch, dass der Schutz durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht zwar sicherstelle, dass Intersexualität einem grundrechtlichen Schutz unterliegt, sich daraus aber kein Anspruch ableiten lässt, eine solche auch im Personenstandsregister eintragen zu lassen. Somit ist das Festhalten des Gesetzgebers an einem binären Geschlechtersystem nicht als verfassungswidrig anzusehen.
Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass das allgemeine Persönlichkeitsrechtrecht einen umfassenden Schutz der Bestimmung der Geschlechterrolle garantiert. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in etlichen Entscheidungen klargestellt (siehe nur BVerfGE 115, 1 (14); 121, 175 (190); 128, 109 (124). Auch wenn das Gericht dabei keine explizite Aussage über Intersexualität trifft, stellt es dennoch klar, dass auch das Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität geschützt wird. Daher kann und muss davon ausgegangen werden, dass auch die Intersexualität dem Schutzbereich unterstellt ist. Folglich kann eine Norm nur dann verfassungskonform sein, wenn diese eine volle Anerkennung der Intersexualität zulässt. Eine Eintragung als geschlechtslos hat dies aber gerade nicht zur Folge: es wird dabei in grobem Maße verkannt, dass Intersexualität sehr wohl eine Form der Sexualität darstellt und daher den betroffenen Menschen die gleichen Rechte zustehen müssen.
3. Rechtslage außerhalb Deutschlands
Jedoch zeigt sich bei einem Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus, dass in anderen Ländern schon eine Anerkennung weiterer Geschlechter möglich ist. Am weitesten ging dabei der oberste Gerichtshof in Australien. Im Jahre 2014 entschied dieser, dass es zulässig ist, sich als „non-specific“ (unbestimmt) in das Geburtenregister eintragen zu lassen. Dabei soll dies aber nicht nur intersexuellen Menschen zustehen, sondern jedem der sich nicht auf eines der beiden fest vorgegebenen Geschlechter festlegen wolle.
Zahlreiche Organisationen fordern auch in Deutschland diese Möglichkeit, um den Betroffenen die Wahl zu geben eine Geschlechtsform zu wählen, mit der sie sich auch identifizieren können. Andere gehen sogar noch weiter und fordern die Einführung von zahlreichen Geschlechtsformen, um der bestehenden Vielfalt gerecht zu werden.
III. Fazit
Der Streit um die Möglichkeit der Eintragung eines weiteren Geschlechts wird sich wohl noch einige Zeit hinziehen. Nach dem Beschluss des OLG Celle legte die Antragstellerin Revision ein und erklärte, dass sie auch den Weg zum Bundesverfassungsgericht nicht scheuen werde, sollte der BGH der Ansicht des OLG Celle zustimmen. Somit bedarf es wohl der höchstrichterlichen Klärung der Sachlage bzw. dem Tätigwerden des Gesetzgebers um endgültige Klarheit zu schaffen und eine Norm aufzustellen, die dem umfassenden Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Rechnung trägt.
Felicitas Weber ist Studentin der Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München und studentische Hilfskraft am Institut für internationales Recht – Rechtsvergleichung (Lehrstuhl Professor Dr. Stephan Lorenz).
Eine Antwort zu “Felicitas Weber: Intersexualität und das Personenstandsregister – die Beschäftigung mit der Verfassungskonformität einer Norm”
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