Am heutigen Mittwoch starteten die Referate zum 71. Deutschen Juristentags in Essen. Die Abteilung Familienrecht hat sich dem Thema „Rechtliche, biologische und soziale Elternschaft – Herausforderungen durch neue Familienformen“ angenommen. Professor Dr. Tobias Helms (Marburg) hat hierzu das Gutachten erstattet, als Referenten sind Richterin am BVerfG Prof. Dr. Gabriele Britz (Karlsruhe/Gießen), Vors. RiOLG a.D. Prof. Dr. Dr. h.c. Gerd Brudermüller (Bad Dürkheim) und Prof. Dr. Ingeborg Schwenzer (Basel) vorgesehen. An dieser Stelle erfolgt lediglich ein kurzer Bericht über die Referate und die anschließende Diskussion.
1. Referat Prof. Britz
Frau Professor Britz behandelte insbesondere die Leitlinien des geltenden Verfassungsrechts für die Ausgestaltung des Abstammungsrechts durch den Gesetzgeber. Dem Gesetzgeber komme hierbei im Grundsatz ein weiter Ausgestaltungsspielraum zu, der sich nur im Ausnahmefall zu einem Regelungsverbot oder -auftrag verdichte.
Als relevante Grundrechtspositionen bei der Ausgestaltung des Abstammungsrechts seien besonders Art. 6 I, 6 II 1, 3 I, 2 I GG zu beachten. Bedeutung komme auch dem Recht des Kindes auf Sicherung der elterlichen Pflege und Erziehung aus Art. 2 I iVm Art. 6 I GG zu. Letzteres führe dazu, dass der Gesetzgeber dazu verpflichtet sei, einem Kind Eltern zuzuordnen.
Aus der Rechtsprechung des BVerfG aus dem Jahre 2003 (Entscheidung zum Anfechtungsrecht des biologischen, nicht rechtlichen Vaters) ergäbe sich für die Frage der Regelung des rechtlichen Elternstatus eine Grenze im Zweielternprinzip, d.h. dem Grundsatz, dass einem Kind maximal zwei rechtliche Elternteile zugewiesen werden könnten. Zu betonen sei jedoch, dass dieses Prinzip lediglich die Stellung als vollwertiger rechtlicher Elternteil betreffe, nicht hingegen sei die Zuweisung von Ausprägungen des Elternrechts (z.B. elterliche Verantwortung, Umgangsrecht etc.) per se nur auf zwei Personen beschränkt.
Für die Frage, welchen Personen von Verfassung wegen die Elternposition einzuräumen sei, habe das BVerfG im Jahre 2013 (Entscheidung zur Sukzessivadoption gleichgeschlechtlicher Paare, dazu hier im Blog) festgestellt, dass der Gesetzgeber sich bei der Zuweisung elterlicher Rechtspositionen im Grundsatz an der leiblichen Abstammung zu orientieren habe. Abweichungen von einer solchen Zuordnung (z.B. zugunsten der Zuordnung eines sozialen Elternteils) seien jedoch zulässig. Es bestehe letztlich bei einem Zusammentreffen von sozialer und genetischer Abstammung kein verfassungsrechtliches Rangverhältnis der genannten Kriterien.
2. Referat Prof. Schwenzer
Das Referat von Frau Professor Schwenzer befasste sich insbesondere mit der Zulassung pluraler Elternschaft. Inwieweit sollte die Rechtsordnung die Zuordnung von mehr als zwei rechtlichen Eltern zu einem Kind vorsehen? Favorisiert wurde insoweit eine Aufgabe des Zweielternprinzips zugunsten der Zuordnungsmöglichkeit mehrerer Personen als rechtliche Eltern (Zur Rechtslage in British Columbia siehe hier im Blog). Dies brächte insbesondere in Patchwork- und gleichgeschlechtlichen Familien Vorteile, wenn der nicht im zentralen Haushalt lebende Elternteil auch an der Elternrolle partizipieren wolle. Eine Alternative zur Öffnung des Abstammungsstatus für mehr als zwei Personen sei letztlich die Entkoppelung elterlicher Verantwortung vom Abstammungsstatus. Nach dem Vorbild des Rechts von England und Wales ließe sich durch eine Übertragung der elterlichen Verantwortung auf mehr als 2 Personen den o.g. Interessenlagen entsprechen.
3. Referat Prof. Brudermüller
Das Referat von Herrn Professor Brudermüller hatte die mögliche Einführung eines Unterhaltsanspruchs des Stiefkindes gegen den Stiefelternteil (umgrenzt befürwortend), Die Ausgestaltung der Einwilligung in die künstl. Befruchtung (insbesondere bei automatischer Statuszuweisung nach Einwilligung sei ein Formzwang der Einwilligung erforderlich), sowie die Einführung eines statusneutralen und umfassenden Abstammungsklärungsverfahrens (befürwortend) zum Gegenstand.
4. Impulsreferat Prof. Walper
In einem Impulsreferat von Frau Professor Walper wurden die soziologischen Befunde aus Stief-, Pflege- und Keimzellenspendefamilien dargestellt. Hierbei wurde insbesondere mit Blick auf die letzte Fallgruppe hervorgehoben, dass Kinder, die unter Einsatz medizinisch-assistierter Reproduktionsmethoden zur Welt kommen, im Grundsatz keine Entwicklungsunterschiede zu Kindern in sonstigen Familien aufweisen.
5. Diskussion
Die Diskussion zu den o.g. Themenpunkten und den Inhalten des Gutachtens, das letztlich auch (in Teilen modifiziert) Beschlussgrundlage für die morgigen Abstimmungen sein wird, verliefen sehr konstruktiv; teils allerdings kontrovers. Insbesondere die Fragen der Mehrelternschaft und der Leihmutterschaft wurden sehr unterschiedlich aufgefasst. Auch bei der Einführung der Co-Mutterschaft gab es Skepsis.
Zur Thematik des Formzwangs bei Einwilligung in die medizinisch-assistierte Reproduktion (siehe Referat Prof. Brudermüller) wurde angemerkt, dass auch die Folgen eines Formverstoßes bedacht werden müssten. Aus Kindessicht erweise es sich uU als problematisch, wenn eine Abstammungszuordnung an der Nichteinhaltung der Form aber bei tatsächlichem aber nicht nachweisbarem Vorliegen einer Einwilligung scheitere und sich der betreffende Vater aus der rechtlichen Verantwortung stehlen könnte.
Vor der Beschlussfassung am Donnerstagnachmittag werden die Beratungen zu den einzelnen Themenpunkten fortgesetzt.