„Leihmutterschaft – Mein Bauch gehört nicht mir“ (Albrecht, FAZ v. 12.08.2014, Link), „Thailand hindert Paar mit Leihmutter-Baby an Ausreise“ (Süddeutsche v. 15.08.2014, Link), „Eltern und Leihmutter streiten über Baby Gammy“ (FAZ v. 04.08.2014, Link), „Babyfabrik in Thailand – Japaner zeugt reihenweise Leihmutter-Babys“ (Oelrich, Stern v. 19.08.2014, Link).
Diese exemplarischen Schlagzeilen der jüngeren Pressevergangenheit lassen fast intuitiv fragen: Wie weit darf Reproduktionsmedizin gehen? Dass diese Frage – wenn überhaupt – nur äußerst schwer zu beantworten ist, liegt auf der Hand. Sie zu stellen, ist dennoch unvermeidlich. Denn bei der Kinderwunscherfüllung greifen Paare immer häufiger auf eine Leihmutter zurück. Und wie der Presse zu entnehmen ist, realisiert sich somit auch vermehrt das damit verbundene Konfliktpotenzial.
Nach deutscher Gesetzeslage sind Leihmutterschaften zu Recht verboten. Ärztliche Assistenz und Vermittlung stehen weitgehend unter Strafe, und als rechtliche Mutter etabliert der Gesetzgeber jenseits der Adoption unverrückbar die Geburtsmutter (§§ 1 Abs. 1 ESchG, 13c, 14b AdVermiG, 1591 BGB). In Deutschland soll also eine Frau nicht planmäßig und gleich einer Dienstleistungserbringerin ein Kind für Wunscheltern austragen. Man befürchtet im Zusammenhang mit Leihmutterschaften nämlich eine Ausbeutung der Leihmütter, eine Degradierung des Kindes zur Ware und Gefährdungen des Kindeswohls durch die Segmentierung der Mutterschaft aufgrund der von Beginn an beabsichtigten Trennung der psychosozialen Bande des Kindes zur schwangerschaftsaustragenden Leihmutter. Letzteres ist jedoch mangels einer eindeutigen empirischen Datenlage derzeit bis zu einem gewissen Grad vor allem noch als abstrakter Risikofaktor anzusehen. Dennoch können nach deutschem Sachrecht Wunscheltern ein Eltern-Kind-Verhältnis regelmäßig mittels Vaterschaftsanerkennung bzw. -feststellung, notfalls nach Vaterschaftsanfechtung, und einer Stiefkindadoption durch den zweiten Wunschelternteil herbeiführen (vgl. Diel, Leihmutterschaft und Reproduktionstourismus, 2014 S. 87 ff.).
Andere Rechtsordnungen sehen hingegen zum Teil keine oder wesentlich geringere Hürden vor, um eine Leihmutterschaft durchführen zu können; zugleich ermöglichen diese Rechte meist eine vereinfachte Etablierung rechtlicher Elternschaft der Wunscheltern (vgl. Helms, „Leihmutterschaft – Ein rechtsvergleichender Überblick“, StAZ 2013, 114 ff.). Angesichts dessen drängt sich zunächst die grundsätzliche Frage auf, ob die Kinderwunscherfüllung mittels Leihmutterschaft nicht doch legitim sein kann. Soweit eine Rechtsordnung – wie die deutsche – dies jedoch negiert, schließt sich sogleich die Frage nach dem „räumlichen“ Geltungsanspruch eines Leihmutterschaftsverbots an: Darf als dessen Konsequenz mittels Reproduktionstourismus in eine leihmutterschaftsfreundlichere – mehr oder weniger – weit entfernte Rechtsordnung, eine ethisch und rechtlich missbilligte Form der künstlichen Fortpflanzung faktisch outgesourct werden? Darf, sollte oder muss man dies im globalen Kontext hinnehmen, zulassen und anerkennen?
In diesem Zusammenhang stellen sich auch die aktuell drängenden abstammungsrechtlichen Fragestellungen: Wie weit ist es angemessen, wenn ein Staat zum Zwecke der Prävention, Generalprävention und Sanktion Maßnahmen auf statusrechtlicher Ebene ergreift, um der aus seiner Sicht unliebsamen Form künstlicher Fortpflanzung durch Leihmutterschaften Einhalt zu gebieten? Und wann führen geschaffene Fakten diese Bemühungen an ihre Grenzen, wenn bspw. das Kind im Ausland geboren und den (genetischen) Wunscheltern übergeben worden ist.
Eine Schranke könnte dabei der Europäischen Menschenrechtskonvention, und dort insbesondere dem Schutz des Privat- und Familienlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK), zu entnehmen sein. Ob eine im Ausland begründete Elternschaft von Wunscheltern von deren Heimatstaat mit generalpräventiver Zielsetzung oder als Sanktion für eine offensichtlich beabsichtigte Gesetzesumgehung (notfalls über den Ordre-public-Vorbehalt) ignoriert werden darf oder doch vielmehr anzuerkennen ist, ist auch an Art. 8 EMRK zu messen. Diese Norm zielt insbesondere auf einen Schutz gelebter familiärer (leiblicher) Bindungen und die Möglichkeiten ihrer rechtlichen Sicherung ab. Zudem zwingt sie in diesem Zusammenhang dazu, das Wohl der konkret betroffenen Kinder sowie deren Privatleben, insbesondere mit Blick auf ihre Identitätsfindung, zu achten.
Eine neue Richtung hat die Diskussion vor diesem Hintergrund nunmehr dadurch erhalten, dass seit Juni dieses Jahres der EGMR gleich mehrfach Gelegenheit hatte, sich zu diesem Themenkomplex zu äußern. Die ersten beiden Entscheidungen vom 26.06.2014 (Akz.: 65192/11 und 65941/11, vgl. FamRZ 2014, 1525 ff.) betrafen Konstellationen, in denen die französische Rechtsprechung unter Hinweis auf den ordre public eine von amerikanischen Gerichten festgestellte Eltern-Kind-Beziehung zu den Wunscheltern trotz einer genetischen Bande zwischen Leihmutterkind und Wunschvater nicht anerkennen wollte. In der rigorosen Haltung der französischen Rechtsprechung, die zwar einem faktischen Familienleben nicht entgegenstand, dem Kind aber jede Möglichkeit verwehrte, diese faktischen (familiär gelebten) Beziehungen rechtlich verfestigen zu können, erblickten die Richter des EGMR eine Verletzung von Art. 8 EMRK (siehe auch Frank, Anmerkung zu EGMR Akz.: 65192/11 und Akz.: 65941/11, FamRZ 2014, 1527 ff.). Jedoch stellte der EGMR auch klar, dass Staaten grundsätzlich ein legitimes Interesse an einem Leihmutterschaftsverbot und dessen Befolgung haben können. In seiner Entscheidung vom 08.07.2014 (Akz.: 29176/13) rechtfertigt der EGMR nunmehr sogar – bis zu einem gewissen Grad – einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK: Es sei rechtmäßig, wenn Staaten Kindern die Erteilung von Passdokumenten und die damit verbundene Einreisemöglichkeit verweigern, sollten Wunscheltern ihre Elternschaft nicht derart nachweisen, dass ihre Heimatbehörden in die Lage versetzt werden, die Umstände der Entstehung des Eltern-Kind-Verhältnisses nach ausländischem Recht nachprüfen zu können. Hierzu kann der Nachweis einer genetischen Verbindung des Kindes zu den Wunscheltern erforderlich und die bloße Vorlage ausländischer Geburtsurkunden nicht ausreichend sein (vgl. Reuß, „Neues vom EGMR zur Leihmutterschaft“, Link). Infolgedessen verzögerte sich im konkreten Fall die Einreise belgischer Wunscheltern mit einem Leihmutterkind aus der Ukraine, und damit ein gemeinsames Familienleben in Belgien, um mehrere Monate.
Fraglich erscheint, bis zu welcher Dauer man einen derartigen Eingriff zum Nachteil von Kindern tatsächlich rechtfertigen sollte. Natürlich darf man keinen Staat nötigen, ungeprüft Staatsangehörigkeiten und Aufenthaltstitel verleihen zu müssen. Zu überlegen ist aber zum Beispiel, ab wann es das Kindeswohl gebieten könnte, das Kind mit seinen faktischen Bezugspersonen in deren Heimatstaat einreisen zu lassen, um den Nachweis der Elternschaft dort führen zu können. In diesen Fällen könnte eventuell an ein vorläufiges Visum aus humanitären Gründen und zur Klärung der Abstammung und Staatsangehörigkeit des Kindes gedacht werden, sollte eine derartige Klärung im Ausland Schwierigkeiten bereiten und dadurch das Wohl des Kindes über Gebühr belastet werden. Hierzu dürfte bereits Art. 7 Abs. 2 UN-KRK anhalten. Danach sind die Konventionsstaaten der UN-Kinderrechtskonvention und damit auch Deutschland verpflichtet, insbesondere bei drohender Staatenlosigkeit eines Kindes, die Verwirklichung dessen Rechts aus Art. 7 Abs. 1 UN-KRK sicherzustellen, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben.
Ob die bisherigen Vorgaben des EGMR letztlich zu einer befriedigenden Bewältigung des Leihmutterschaftsphänomens führen können, bleibt abzuwarten. Jedenfalls sollte man nicht voreilig den Schluss ziehen, dass das deutsche Leihmutterschaftsverbot überholt sei. Vielmehr ist de lege lata lediglich darauf zu achten, dass die der Verbotsnorm beigefügten Sanktionsnormen nur so anzuwenden sind, dass ein letztlich für die Umstände seiner Entstehung nicht verantwortliches Kind dadurch nicht diskriminiert wird, und dass dessen Wohl bei allen Entscheidungen stets Priorität zukommt (vgl. Mayer, „Ordre public und Anerkennung der rechtlichen Elternschaft in internationalen Leihmutterschaftsfällen“, RabelsZ 78 (2014), 551, 574 ff., 589). Dies aber ergibt sich ohne Weiteres nicht nur aus Art. 8 EMRK, sondern auch aus Art. 3 Abs. 1 UN-KRK. Dass damit Generalprävention im Statusrecht und insbesondere mit Mitteln des Abstammungsrechts weitgehend ausgeschlossen sein dürfte und daher weitere Fälle von Leihmutterschaftstourismus bevorstehen und derzeit wohl kaum verhindert werden können, ist bedauerlich. Das wahre Dilemma, wenn man einmal die Prämisse akzeptiert, dass es der weite Beurteilungsspielraum eines Gesetzgebers gestattet, ethisch und moralisch nicht umfänglich akzeptierte Methoden der artifiziellen Befruchtung zu untersagen (so schon EGMR vom 03.11.2011 Akz.: 57813/00), besteht damit letztlich in der Suche nach effektiven Sanktionen. Und dass der Wunsch aus Sicht restriktiver Rechtsordnungen nach mehr Effektivität nachvollziehbar ist, zeigen die eingangs erwähnten konfliktträchtigen Fälle, die immer häufiger die Schlagzeilen bestimmen. Es muss legitim sein, derartige und vergleichbare Dramen von vornherein verhindern zu wollen: Denn niemand wird es ernsthaft gutheißen können, wenn zwischen Wunscheltern und Leihmüttern Streit darüber entbrennt, wer die rechtliche Elternschaft beanspruchen darf oder wahrnehmen muss. Dennoch muss es dabei bleiben, dass jedenfalls das Abstammungsrecht nicht das geeignete Instrument darstellt, um Härte zu demonstrieren. Vor allem gilt es derzeit, zur Verhinderung von Leihmutterschaften, an die Vernunft von Wunscheltern zu appellieren, von ihren Plänen abzurücken. Wo Prävention aber fehlgeschlagen ist, muss man zwingend nach Lösungen im Interesse der konkret betroffenen Kinder Ausschau halten. Dass diese Lösungen oftmals zur Konsequenz haben werden, das Leihmutterkind dennoch den Wunscheltern zuzuordnen, muss dabei hingenommen werden, wenn dies dem Wohl des Kindes dient. Deshalb aber die Abschaffung des Leihmutterschaftsverbots zu fordern, wäre übereilt. Und so verwundert es nicht, dass es rechtspolitisch hierzulande ohnehin an den erforderlichen Mehrheiten dazu fehlen dürfte (vgl. den Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode, „Deutschlands Zukunft gestalten“, S. 70). Ein Leihmutterschaftsverbot ist derzeit auf globaler Ebene zwar kaum effektiv durchzusetzen, seine verbleibende zumindest bewusstseinsbildende Wirkung sollte man sich aber, trotz damit einhergehender statusrechtlicher Komplikationen, durchaus bewahren. Im Bereich der künstlichen Fortpflanzung sollte man nämlich nicht aus dem Blick verlieren, dass der naturwissenschaftliche Fortschritt in der jüngeren Vergangenheit immer mehr an Tempo gewonnen hat. Die (bio)ethische Bewertung der damit einhergehenden immer neuen medizintechnischen Möglichkeiten geriet damit fast zwangsläufig immer weiter ins Hintertreffen. Die Beantwortung der Frage, wie weit Reproduktionsmedizin gehen darf, erfordert daher an sich mehr Zeit als ihr viele Seiten zugestehen und sollte nicht allein danach beurteilt werden, was medizinisch machbar ist.
Weitere, neben der bereits erwähnten, empfehlenswerte aktuelle Literatur zum Thema:
Bertschi, Nora, Leihmutterschaft: Theorie, Praxis und rechtliche Perspektiven in der Schweiz, den USA und Indien, Bern 2014.
Heiderhoff, Bettina, „Rechtliche Abstammung im Ausland geborener Leihmutterkinder“, NJW 2014, 2673 ff.
Witzleb, Normann, „Vater werden ist nicht schwer“? – Begründung der inländischen Vaterschaft für Kinder aus ausländischer Leihmutterschaft“, FS für Dieter Martiny zum 70. Geburtstag, 2014, S. 203 ff.
Alexander Diel ist Rechtsreferendar am Landgericht Marburg (Stammdienststelle) im OLG-Bezirk Frankfurt a.M., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Privatrechtsvergleichung der Philipps-Universität Marburg bei Prof. Dr. Helms und promovierte zum Thema „Leihmutterschaft und Reproduktionstourismus“.