Drum prüfe, wer sich ewig bindet… EGMR verneint Konventionsverstoß bei gerichtlicher Ablehnung der Annullierung einer Vaterschaftsanerkennung


Rechtsprechung KopieWas als volkstümliches Sprichwort bei der Eheschließung gilt, ist auch auf die Frage der Anerkennung der Vaterschaft anwendbar: Eine derart intensive Bindung soll nur wohl überlegt eingegangen werden! Der EGMR hat dies in seinem Urteil  vom 18.2.2014 (Beschwerde Nr. 28609/08, A.L. gegen Polen) nun bestätigt. Das Gericht ist dem Vorbringen des in den polnischen Verfahren unterlegenen Vaters nicht gefolgt, es liege in der Ablehnung der Annullierung seiner Vaterschaftsanerkennung ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK vor.

In dem Fall ging es um folgenden Sachverhalt:

Der die Beschwerde führende Vater hatte im Jahre 1995 die Vaterschaft für ein Kind anerkannt, obwohl er bereits zu diesem Zeitpunkt sichere Kenntnis davon hatte, dass die Mutter zum Empfängniszeitpunkt auch mit anderen Männern verkehrt hatte. Die einjährige Anfechtungsfrist des Art. 80 § 1 Family and Custody Code ließ der Beschwerdeführer verstreichen. Nach Wirksamkeit der Scheidung im Jahre 2000 und nach alsbaldiger Wiederheirat der Mutter, veranlasste der Beschwerdeführer einen Vaterschaftstest, der die Nichtvaterschaft feststellte. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Annullierung seiner Vaterschaft. Die Behörde folgte dem Antrag und erhob, wie nach polnischem Recht vorgesehen, eine Annullierungsklage. Sie unterlag allerdings sowohl in erster als auch zweiter Instanz. Eine Annullierung der Vaterschaft hätte, so die Gerichte, auf das Kind eine gravierende Auswirkung.

Der Beschwerdeführer sah sich durch diese Entscheidungen in seinem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gem. Art. 8 EMRK verletzt und erhob Beschwerde beim EGMR.

Der EGMR lehnt in seinem Urteil allerdings das Vorliegen eines Verstoßes gegen Art. 8 EMRK ab. Zwar sei das Recht des Beschwerdeführers, die Vaterschaft bei Nichtbestehen der biologischen Abstammung anzufechten, von Art. 8 EMRK umfasst und durch die Entscheidung der polnischen Gerichte tatsächlich beeinträchtigt. Die Beeinträchtigung sei allerdings gerechtfertigt. Die Gerichte hätten zu recht das Recht des Vaters aus Art. 8 EMRK mit dem ebenfalls aus Art. 8 EMRK erwachsenden Recht des Kindes auf Achtung seines Privat- und Familienlebens abgewogen. Die Tatsache, dass das Kindeswohl bei Annullierung der Vaterschaft beeinträchtigt würde überwiege das Interesse des Vaters an Aufhebung seiner rechtlichen Vaterschaft. Dies ergebe sich insbesondere deshalb, weil der Vater die Anerkennung der Vaterschaft trotz der Tatsache vorgenommen habe, dass er bereits gewusst habe, möglicherweise nicht der biologische Vater des Kindes zu sein. Auch habe er die Jahresfrist für die Anfechtung der Vaterschaft verstreichen lassen, obwohl ihm durch Anfechtung die Auflösung des rechtlichen Bandes möglich gewesen wäre.

Die Entscheidung ist zu begrüßen und geht in die richtige Richtung. Die Anerkennung der Vaterschaft für ein Kind ist keine Entscheidung, die leichtfertig getroffen und nach dem Willen des Anerkennenden jederzeit widerrufbar sein sollte. Darüber besteht grds. Einigkeit. Die Übernahme der rechtlichen Elternstellung durch Vaterschaftsanerkennung bedeutet nämlich in ganz besonderem Maße, dass der Anerkennende auch die rechtliche Verantwortlichkeit für ein Kind übernimmt, das seine Geschicke noch nicht selbst regeln kann. Der EGMR stellt hier daher zu Recht fest, dass es bei der Annullierung einer Vaterschaftsanerkennung stets einer Abwägung insbesondere mit dem Kindeswohl bedarf. Im konkreten Fall überwog dieses aufgrund der oben erwähnten Fallgestaltung.

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10 Antworten zu “Drum prüfe, wer sich ewig bindet… EGMR verneint Konventionsverstoß bei gerichtlicher Ablehnung der Annullierung einer Vaterschaftsanerkennung”

  1. Wenn die Vaterschaft grundsätzlich nur biologisch abgeleitet werden würde, statt kompliziert juristisch, wären solche Spitzfindigkeiten nicht mehr möglich und nötig. Anstelle der einfachen schwarzen Adoption durch die Vaterschaftsanerkennung gehört ein echtes Adoptionsverfahren, denn nichts anderes hat in diesem Fall stattgefunden. Bei einem Adoptionsverfahren würde dann auch die Ernsthaftigkeit des Adoptionswillens auf dem Prüfstand stehen.

  2. Ob das Kindeswohl auch wirklich erreicht wird, das ist die Frage. Tatsache ist ja, dass die Vaterschaft zwar nach wie vor besteht, der Vater diese aber nicht anerkennt, also die Verantwortung nicht übernehmen will. Dem Kind wird dies nict verborgen bleiben.

  3. Das deutsche Abstammungssystem geht im Grundsatz davon aus, dass als rechtlicher Vater auch der biologische Vater zugeordnet werden soll. Ganz konsequent ist das Recht bei der letztlichen Vaterzuordnung allerdings nicht, denn es arbeitet zum Teil mit Wahrscheinlichkeitswerten. Gem. § 1592 Nr. 1 ist rechtlicher Vater grds. der Ehemann der das Kind zur Welt bringenden Mutter. Das kann aber muss natürlich nicht der biologische Vater des Kindes sein. Der Gesetzgeber ging bei Einführung dieser Regelung allerdings davon aus, dass in der Regel der Ehemann der Mutter auch der biologische Vater sein wird. Für alle anderen Fälle, d.h., wenn die Mutter bei Geburt des Kindes nicht verheiratet ist, gibt es die Möglichkeit der Vaterschaftsanerkennung § 1592 Nr. 2 und die gerichtliche Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d BGB. Bei letzterer handelt es sich um eine Feststellung der rechtlichen Vaterschaft aufgrund biologischer Abstammung, d.h. es wird ein Abstammungsgutachten durchgeführt. Der dieses Verfahren betreibende Mann wird nur als rechtlicher Vater zugeordnet, wenn er auch biologischer Vater des Kindes ist. Bei der Vaterschaftsanerkennung ist die biologische Abstammung irrelevant. Durch diese Regelung können sich natürlich Situationen ergeben, in denen ein Scheinvater die Vaterschaft anerkennt, ohne tatsächlich biologischer Vater des Kindes zu sein.

    Es wäre natürlich denkbar die Anerkennungsregelung gänzlich zu streichen. Dadurch ließe sich die in dem oben besprochenen Urteil aufgekommene Situation vermeiden. Was wäre allerdings die Folge? Die rechtliche Vaterschaft des leiblichen Vaters ließe sich, wenn er mit der Mutter des Kindes nicht verheiratet ist, lediglich durch gerichtliche Feststellung der Vaterschaft und nach Durchführung eines Abstammungsgutachtens erlangen. Das setzt für die Vaterschaftszuordnung eine hohe Hürde, die jeder leibliche Vater in dieser Fallkonstellation zu nehmen hätte und die mit Kosten für das gerichtliche Verfahren und das Gutachten verbunden ist. Das kann sich auf die Bereitschaft, die rechtliche Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, hinderlich auswirken. Es spricht vor diesem Hintergrund meines Erachtens einiges dafür die Anerkennungsmöglichkeit zu erhalten, denn Ziel ist es, dass jedes Kind auch einen rechtlichen Vater zugeordnet bekommt. Gestaltet man die Vaterzuordnung niederschwellig aus, schafft man dafür gute Voraussetzungen. Es wäre gleichzeitig zu überlegen, die Möglichkeiten des anerkennenden Mannes seine rechtliche Vaterschaft anzufechten in Fällen zu begrenzen, in denen er in Kenntnis seiner möglichen Nichtvaterschaft die Anerkennung vorgenommen hat. Dies würde verhindern, dass der anerkennende Mann es sich dann wieder anders überlegt.

    • Es wäre natürlich denkbar die Anerkennungsregelung gänzlich zu streichen. Dadurch ließe sich die in dem oben besprochenen Urteil aufgekommene Situation vermeiden. Was wäre allerdings die Folge? Die rechtliche Vaterschaft des leiblichen Vaters ließe sich, wenn er mit der Mutter des Kindes nicht verheiratet ist, lediglich durch gerichtliche Feststellung der Vaterschaft und nach Durchführung eines Abstammungsgutachtens erlangen.

      Es ließe sich statt der gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung ein Gesetz geschaffen, welches einen privaten Vaterschaftstest zur behördlichen Vaterschaftsanerkennung legitimiert. Dann liegen die Kosten bei unter 200 Euro und würden aufgrund der 700.000 Geburten pro Jahr auch gleich vom Krankenhaus standartisiert und zu einem deutlich niedrigeren Preis als bisher von unter 30 Euro abgewickelt werden. Eine Abrechnung über die Krankenkassen wäre da ebenfalls denkbar.

      Es wäre gleichzeitig zu überlegen, die Möglichkeiten des anerkennenden Mannes seine rechtliche Vaterschaft anzufechten in Fällen zu begrenzen, in denen er in Kenntnis seiner möglichen Nichtvaterschaft die Anerkennung vorgenommen hat. Dies würde verhindern, dass der anerkennende Mann es sich dann wieder anders überlegt.

      Doch genau würden dann viele Falschbeschuldigungen der Kuckucksmütter noch mehr Scheinväter zum Zahlesel werden lassen. Bereits heute scheitern laut eines ehemaligen Familienrichters über 80 Prozent der Vaterschaftsanfechtungen meistens an der Zweijahresfrist, da der Kuckucksmutter glauben geschenkt wurde, dass der Scheinvater schon immer davon gewußt habe, dass er nicht der Vater ist. Und das passiert, obwohl die Kuckucksmutter die letzte Person ist, die als glaubwürdig zu erachten ist. Auch in meinem persönlichen Fall behauptete die Kuckucksmutter, dass ich es schon immer gewußt habe. Erst als ihr klar wurde, dass sie u.a. weil ich inzwischen in Kolumbien lebe keinen Cent mehr von mir sehen wird, zog sie ihre Falschaussage zurück. Denn so kann sie nun wenigstens den leiblichen Vater belangen, auch wenn der nicht so gut finanziell darsteht. Es kann nicht sein, dass die gesetzliche Verbindlichkeiten über der sozialen angesiedelt und dann als Schutz des Kindeswohles präsentiert werden. Die Zweijahresfrist gehört abgeschafft, da sie defakto sonst einen Adoptionsvorgang aus der Vaterschaftsanerkennung macht.

  4. Der oben vorgeschlagene Weg, die gerichtliche Vaterschaftsfeststellung durch eine modifizierte Anerkennungsregelung zu ersetzen, kann sicherlich keine Lösung darstellen. Nicht jeder biologische Vater hat auch die Bereitschaft die rechtliche Verantwortung für ein Kind freiwillig zu übernehmen. Die gerichtliche Vaterschaftsfeststellung bietet hier allerdings die Möglichkeit den biologischen Vater auch gegen seinen Willen in die rechtliche Verantwortung zu nehmen. Das ist mE auch gut so, damit das Kind nicht am Ende vaterlos ist.

    Eine Möglichkeit die Vaterschaftsanerkennungsregelung dahingehend zu modifizieren, dass zur Anerkennung auch ein privates Abstammungsgutachten erforderlich wird, besteht freilich. Ich frage mich allerdings, ob dies praktikabel ist und in dieser Form überhaupt verfassungsgemäß umgesetzt werden könnte.

    Es ist sicherlich richtig, dass sich die Kosten für eine Begutachtung minimieren lassen, indem man derartige Abläufe standardisiert. Ob dies aber auch die Preise von über 300 € (Ich habe nur eine kurze Google Recherche gestartet) ohne staatliche Regulierung auf unter 30 € drücken würde, ist fraglich. Letztlich bleiben Kosten übrig, die der Anerkennende zu zahlen hat. Das kann, muss aber natürlich nicht abschreckend wirken.
    Eine Finanzierung der Kosten durch die Krankenkassen wäre natürlich möglich und würde abschreckenden Effekten vorbeugen . Es handelt sich dann um eine Umlage der Kosten auf die Gesamtzahl der Versicherten. Bei Ihren Zahlen (30€ bei 700.000 Geburten) sind das immerhin 21.000.000.- € an zusätzlichen Kosten für die Versicherten, die ein zwingender Vaterschaftstest verursachen würde.

    ME ist es allerdings ökonomisch nicht sinnvoll diese Kosten unabhängig von Zweifeln daran, dass der anerkennende Mann auch biologischer Vater des Kindes ist, im Zeitpunkt der Anerkennung aufzuwenden. Studien bestätigen bereits jetzt, dass in 80% der Fälle die Zweifel eines Mannes an seiner biologischen Vaterschaft durch einen Test ausgeräumt werden. Das bedeutet, dass ein Gutachten im Zeitpunkt der Anerkennung lediglich für 20% der Fälle eine rechtliche Zuordnung des Vaters zu dem Kind mangels biologischer Verwandtschaft verhindert hätte (Diese Zahl ist wahrscheinlich noch geringer, da die Studien ja lediglich die Fälle umfassen, in denen es aus Zweifeln an der Vaterschaft zu einem Test gekommen ist). Bezweckt man aber mit der o.g. Regel eine Aufdeckung der biologischen Unwahrheit, so erfüllen die aufgewendeten Kosten lediglich in 20% der Fälle ihren Zweck. In 80% der Fälle sind die Kosten verloren. Ökonomisch ist es daher mE sinnvoller, die Kosten erst bei begründeten Zweifeln an der Vaterschaft jeweils im konkreten Einzelfall ex post im Verfahren nach § 1598a oder der Vaterschaftsanfechtung aufzuwenden.

    Ein weiterer Aspekt, der mich an der Praktikabilität zweifeln lässt, ist, dass auch eine genetische Abstammungsuntersuchung Zeit kostet (1-4 Wochen laut http://www.uksh.de/rechtsmedizin/Standort+Kiel/Dienstleistungen+_+Service/Vaterschaftstest_Abstammungsgutachten-p-96.html#Kosten; 4-5 Wochen laut http://www.umm.uni-heidelberg.de/inst/iti/abstamm.html). Dadurch wird eine möglichst rasche Vaterzuordnung gehemmt. Das ist aus der Perspektive des Kindes negativ, denn in dieser Zeit könnte es sich der Erzeuger wieder anders überlegen und seine Anerkennungserklärung widerrufen, wodurch für das Kind nichts gewonnen wäre. Sicherlich verbliebe die Möglichkeit der gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d BGB. Es ist zu erwarten, dass sich ein gerichtliches Verfahren durch die weitere Konfliktsituation auf das Kindeswohl nicht sonderlich gut auswirken wird.

    Im Übrigen handelt es sich bei einem für alle Vaterschaftsanerkennungen verpflichtenden Vaterschaftstest um einen massiven Grundrechtseingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der beteiligten Personen (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Schutz des Familienlebens, das gem. Art. 6 Abs. 1 GG besonderen Schutz genießt. Zwar handelt es sich bei der Schaffung einer Übereinstimmung von biologischer und rechtlicher Abstammung um einen legitimen Zweck: Dieser Zweck kann aber durch eine Korrektur der Abstammungsverhältnisse im Einzelfall über die Vaterschaftsanfechtung gem. § 1600 BGB ebenso effektiv und für alle Grundrechtsträger auf weniger belastendem Wege erreicht werden. Ein verpflichtender Vaterschaftstest dürfte daher unverhältnismäßig sein.

    Meines Erachtens sollte es bei der Abstammungszuordnung in erster Linie darum gehen, dass dem Kind möglichst schnell ein rechtlicher Vater zugeordnet wird, der es auch möglichst beständig bleibt. Vermieden werden sollte, dass das Kind vaterlos wird. Das Kindeswohl, insb. die Geborgenheit des Kindes in einer intakten Familie ist hier ein wichtiger Faktor, den es zu beachten gilt. Der Grundsatz der Statuswahrheit, d.h. die Übereinstimmung von rechtlicher Vaterzuordnung und genetischer Abstammung, ist zwar eine tragende Säule des geltenden deutschen Abstammungsrechts, sie kann aber auch durch die Mechanismen des Abstammungsrechts im Nachhinein hergestellt werden (§ 1598a, Vaterschaftsanfechtung §§ 1599 ff. BGB).

    Was die Frage des „Zahlesel[s]“ betrifft, habe ich natürlich vollstes Verständnis für Ihre Sichtweise. Niemand möchte gern gegen seinen Willen und darüber hinaus unberechtigt zu einem „Zahlesel“ gemacht werden. Meine Überlegung ging allerdings in eine etwas andere Richtung: Bestehen bei dem die Vaterschaft anerkennenden Mann Zweifel über seine eigene Vaterschaft, steht es ihm frei die Zweifel vor der Anerkennung über ein einvernehmliches Gutachten auszuräumen. Hat er trotz der Zweifel anerkannt, muss er mE auch zu seiner Entscheidung stehen und darf sich nicht zulasten des Kindes und des gemeinschaftlichen Familienlebens wieder umentscheiden. Die zweijährige Anfechtungsfrist, die im Zeitpunkt der Erlangung der Kenntnis von Umständen, die am Bestehen der biologischen Vaterschaft zweifeln lassen, beginnt, bietet eine ausreichende Überlegungsfrist, in der sich ein Mann Klarheit darüber verschaffen kann, ob er tatsächlich der biologische Vater des Kindes ist, und ob er an seiner Anerkennung festhalten möchte. Ein weiterer wesentlicher Grundpfeiler des deutschen Abstammungsrechts ist nämlich die Statusbeständigkeit. Statusverhältnisse sollen aufgrund ihrer Bedeutung für die beteiligten Personen nicht ebenso leicht aufheb- und wandelbar sein, wie dies etwa bei anderen Rechtsverhältnissen der Fall ist. Eltern können daher ihr Kind nicht einfach auswechseln wie ein Fußballverein seinen Trainer. Die Abstammung ist anerkanntermaßen ein bedeutender Faktor bei der Persönlichkeitsfindung und –bildung. Brechen identitätsbildende Faktoren plötzlich weg, hat das auf die Persönlichkeitsentwicklung insbesondere des Kindes gravierende Auswirkungen. Es ist daher wichtig, dass über die Anfechtungsfrist des § 1600b BGB für Eltern und Kind Rechtssicherheit darüber geschaffen wird, dass das abstammungsrechtliche Band zwischen Eltern und Kind auch Bestand hat. Ohne die bestehende Anfechtungsfrist hätte sonst jedes Familienmitglied gegenüber den anderen ein scharfes Schwert in der Hand, mit dem es dieses Band jederzeit zerschneiden könnte. Ein solches Mittel kann in gewissen Situationen auch als Druckmittel gegen die anderen Familienmitglieder eingesetzt werden.

    Das soll nicht bedeuten, dass das von Ihnen beschriebene Szenario keine Bedeutung hat. Dass ein Mann als rechtlicher Vater eines nicht von ihm abstammenden Kindes durch eine gerichtliche Falschaussage der Mutter in die weitere Stellung als Zahlvater gezwungen wird, ist eine ernsthafte Problematik. Die Frage, in welchem Zeitpunkt der Vater Kenntnis von Umständen hat, die an seiner Vaterschaft zweifeln lassen, ist eine in der Praxis oft schwer zu beantwortende Beweisfrage. Richter, die hierüber zu entscheiden haben, haben dabei grds. unvoreingenommen und frei von äußeren Zwängen und nach anerkannten Beweisregeln zu entscheiden. Wenn dies in der Praxis nicht so ist, wie von Ihnen beschrieben, dann ist dies erstens zu bedauern und zweitens sollte einer solchen Entwicklung gegengesteuert werden. Ich meine allerdings, dass das Abstammungsrecht nicht der richtige Ort ist, die von Ihnen beschriebene Problematik auszufechten.

  5. Das Argument wonach es für Kinder elementar sei „möglichst schnell einem (rechtlichen) Vater zugeordnet zu werden“ mag auf den ersten Blick ehrenhaft klingen. Auf den zweiten Blick muss sich einem aber doch die Frage stellen: Ist es eines Rechtsstaats wie dem unseren nicht unwürdig die Identität eines Kindes anhand einer Wahrscheinlichkeitsvermutung zu bestimmen? Sollte nicht alles daran gesetzt werden, jedes Kind „seinem“ und nicht „einem“ Vater zuzuordnen? Auch die vorsichtigste Schätzung von 5% Falschzuordnungen ergeben bei bei einer Geburtenrate von 700.000 jährlich 35.000 Kuckuckskinder. Wohlgemerkt jährlich! Ergibt in zehn Jahren eine Stadt wie Bochum. Würde man die Einwohner dieser Stadt fragen, wie dankbar sie seien, dass ihnen gleich nach ihrer Geburt „ein“ Vater zugeordnet wurde, die Antworten würden sicherlich wenig Dankbarkeit versprühen.
    Ein moderner Rechtsstaat, der weniger daran interessiert ist seinen Justizapparat zu beschäftigen und seine Anwälte in Lohn und Brot zu halten sondern an Gerechtigkeit und Korrektheit, sollte die Identität eines jeden Kindes zu annähernd 100% bestimmen können und vor allen Dingen auch wollen. Alles andere geht in erster Linie auf Kosten des vielbeschworenen Kindeswohles (wie ja auch im vorliegenden Fall) und ist – wie die stetige Berufung der Gerichte darauf – nur Augenwischerei.

    • Lieber Herr Spicker,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich verstehe Ihre Sichtweise, aus der Position eines Kuckucksvaters sehr gut. Meines Erachtens darf die Frage der Vaterzuordnung allerdings nicht nur einseitig aus der Position des Kuckucksvaters betrachtet werden, da es auch andere Konstellationen gibt, auf die eine Änderung der Rechtslage Auswirkungen hat, und zwar massive.

      Es stimmt, Hauptziel sollte sein, einem Kind „seinen“ Vater rechtlich zuzuordnen. Aber wer sollte der Vater des Kindes sein? Meines Erachtens in erster Linie derjenige Mann, der sich um das Kind auch tatsächlich kümmert, mit ihm eine Beziehung aufbaut, für es sorgt. Würde das Gesetz immer auf die biologische Abstammung abstellen, wäre eine rechtliche Zuordnung eines Wunschvaters z.B. bei Samenspende gar nicht möglich. Ein Wunschvater, der mit seiner Partnerin, ggf. Ehefrau schon jahrelang zusammenlebt aber selbst keine Kinder zeugen kann, müsste stets ein kompliziertes Adoptionsverfahren durchlaufen, um in die rechtliche Vaterstellung einzurücken. Der Samenspender hat hingegen an der sozialen Vaterrolle in der Regel kein Interesse. Dieses Ergebnis kann doch auch keine Lösung darstellen für Familien mit Kinderwunsch.

      Ihr Beispiel mit der Stadt Bochum klingt auf den ersten Blick sehr einleuchtend. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass es bei den 35.000 Geburten nicht immer um eine Kuckuckskindproblematik gehen würde. Viele Väter übernehmen auch in Kenntnis ihrer eigenen Nichtvaterschaft die rechtliche Vaterrolle ganz bewusst. Ich denke diese Bereitschaft, die sich nur auf das Familienleben und das Kindeswohl positiv auswirken kann, sollte nicht behindert werden.

      Ich denke auch, dass es sehr wohl das Anliegen des Rechtsstaates ist, die Identität eines Kindes zu 100% bestimmen zu können. Nicht umsonst ist das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung und das Recht der Eltern auf Kenntnis der eigenen Abkömmlinge vom Bundesverfassungsgericht so betont worden. Ich denke aber auch, dass soziale und biologische Elternschaft auseinanderfallen können und dürfen und der soziale Elternteil, wenn er die Verantwortung für ein Kind übernimmt, auch die rechtliche Elternposition innehaben sollte.

      Besten Gruß

      Philipp Reuß

      • Lieber Herr Reuß,

        ich gebe Ihnen vollkommen Recht, dass bei einer Neuregelung der betreffenden Gesetze, die dann nicht mehr mit Vermutungen auskommen müssten, natürlich die von Ihnen benannten Ausnahmen (Samenspenderkinder etc.) mitbedacht werden müssen. Doch sie sind eben lediglich Ausnahmen und nicht die Regel. Hier ließen sich mit Sicherheit gute, rechtssichere Lösungen finden.

        Ihr Argument, dass meine „350.000 Bochumer“ nicht alle Kuckuckskinder wären, da Väter, die Kenntnis von ihrer biologischen Nichtvaterschaft haben, die Problematik durch ihre soziale Vaterschaft aufheben, trifft meines Erachtens auf die Kinder nicht zu, wenn man es von deren Warte aus betrachtet. Sie sind dennoch Kuckuckskinder. Wer garantiert ihnen beispielsweise, dass sie über ihre Abstammung aufgeklärt werden? Vielfach wird der Mantel des Schweigens darüber gehüllt, was ja noch einfacher gelingt, wenn der rechtliche Vater das Spiel auch noch mitspielt (Stichwort „Schwarze Adoption“). Aus den Erfahrungsberichten vieler derart betroffener Kuckuckskinder wissen wir, dass diese sehr oft spüren, dass etwas nicht ganz stimmt, es aber nicht greifen können. Kinder und Jugendliche suchen aber immer diie Schuld zuerst bei sich, bekommen sie im schlimmsten Fall sogar von den „wissenden“ Eltern eingeredet und entwickeln z.T. massive seelische Schäden.
        Jeder Mensch braucht das Wissen um seine biologischen Wurzeln, will sich irgendwann mit seinen Erzeugern abgleichen können. Dieses ureigene Recht gilt es endlich vom Gesetzgeber anzuerkennen. In den Fällen, in denen es Vater Staat durch Sozialbetrug (Stichwort „Kioskvater“) ans Portemonnaie geht, behielt er sich bis zum kürzlich ergangenen Urteil des BverfG vor, derartige Vaterschaften selbst anzufechten. Auch hier würde ein obligatorischer Vaterschaftstest dem Betrug ganz einfach einen Riegel vorschieben. Stattdessen muss nun wieder eine komplizierte und teure Regelung gefunden werden.

        Ich bin jedenfalls fest davon überzeugt, dass das Abstammungsrecht im Bereich der Vaterschaft höchst reformbedürftig ist und ähnlich wie unser kompliziertes Steuerrecht mit dem richtigen politischen Willen ganz einfach und schnell neugeregelt werden könnte.

        Viele Grüße
        Marcus Spicker

        • Lieber Herr Spicker,

          vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie haben Recht, dass aus Sicht des Kindes natürlich ein ganz großes Kenntnisinteresse besteht. Das BVerfG hat das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner eigenen Abstammung ja bereits mehrfach betont. Ich stimme Ihnen daher vollkommen zu, dass auch das Kind davon Kenntnis haben sollte, wenn der rechtliche Vater nicht sein biologischer Vater ist und auch Kenntnis darüber, von wem es konkret abstammt. Der Gesetzgeber erkennt dieses Interesse allerdings an. Es gewährt Vater, Mutter und Kind einen Anspruch auf Einwilligung in die genetische Abstammungsuntersuchung (§ 1598a BGB), so dass den „350.000 Bochumer Kuckuckskindern“ (unterstellt die Eltern verheimlichen die Nichtabstammung auch in allen Fällen, was mE in der Realität nicht der Fall sein dürfte) eine Möglichkeit zur Klärung der Abstammung zur Verfügung steht. Die Norm ist allerdings nicht weitreichend genug. Auch hier stimme ich Ihrer Kritik zu. Sie erfasst nämlich nicht den biologischen Vater/die biologische Mutter. Ein Kind kann daher nach § 1598a BGB nicht von einem potentiell biologischen Vater die Einwilligung in die Abstammungsuntersuchung verlangen, wenn der biologische Vater nicht rechtlicher Vater ist. Umgekehrt kann aber auch der biologische, nicht rechtliche Vater keinen Anspruch gegen das Kind geltend machen. Auch der biologische Vater hat jedoch ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf Kenntnis seiner Abkömmlinge. Das birgt immensen Nachbesserungsbedarf.

          Ich bin allerdings der Meinung, dass der derzeitige Reformbedarf und die derzeitige Lebenswirklichkeit die Einführung eines verpflichtenden Vaterschaftstests bei Geburt nicht rechtfertigt.

          Viele Grüße

          Philipp Reuß

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